Selbstverständnis einer neuen Generation: Das libanesische Maqamat Dance Theater auf Kampnagel
: Ratten im Archiv

Paris des Ostens hat man diese Stadt genannt. Das war, bevor 1975 der Bürgerkrieg begann. Die Rede ist von Beirut, der Hauptstadt des Libanons, deren junge Bewohner heute alles dafür tun, den weltoffenen Ruf von einst wiederherzustellen. Allen voran die Künstler. In den letzten Jahren hat sich gerade in der Performancekunst eine junge Avantgarde entwickelt, die mittlerweile auch internationale Aufmerksamkeit genießt.

Zu ihr zählt der Choreograf Omar Rajeh, der jetzt mit seiner Gruppe Maqamat Dance Theater beim Laokoon Festival auf Kampnagel gastiert. Es ist bereits sein zweites Hamburg-Gastspiel. Vor gut einem Jahr stellte die Compagnie beim Festival „Polyzentral“ die Choreografie „Beyrouth Jaune“ vor. Jetzt ist „Guerre au Balcon“ zu sehen – eine Europapremiere.

Rajeh ist auf der Suche nach Ausdrucksformen, die einem neuen Selbstverständnis in einer durch den Bürgerkrieg veränderten Gesellschaft Rechnung tragen. Den Paris-Vergleich tut der 28-Jährige ab: „Die Leute reden bei uns immer über die goldenen 60er. Wir aber wissen nicht, was so golden daran war. Es gibt keine Bücher, nirgendwo steht etwas darüber geschrieben. Für mich wirkt es wie geistige Onanie, wenn die Leute immer wieder diese Zeit hochhalten.“

Sein jüngstes Tanzstück handelt von dem Versuch, Erinnerungen wieder zum Leben zu erwecken. Die Tänzer sind Ratten, die ein Zeitungsarchiv zerstören. Doch die Vergangenheit holt sie ein: Sie erinnern sich an die Geschichte von Romeo und Julia und erzählen sie angesichts der religiösen Konflikte in der Region neu. In Symbolen scheint das Vergessene auf, während sich die Ratten durch die abgelegten Dokumente fressen.

Manche Kritiker werfen Rajeh vor, seine Assoziationen nicht kausal zu ordnen. Gern wirft er alles zugleich auf die Bühne, inszeniert ein Chaos mit eigener Logik. Ein Kaleidoskop, das zwischen allen Stimmungslagen changiert. Omar Rajeh ist seit einigen Jahren in zwei Kulturen zu Hause. Auf das Theaterstudium an der Libanesischen Universität folgte ein Tanzstudium an der University of Surrey. Zurzeit schreibt er an der London Contemporary Dance School seine Doktorarbeit.

Die Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes in Beirut liegt dem Tänzer und Schauspieler aber ebenso am Herzen. So gründete er dort 2002 das Maqamat Dance Theater. Im selben Jahr wurde seine erste abendfüllende Produktion „Beyrouth Jaune“ gefeiert. Mit diesem ersten Stück wollte Rajeh ein Bild entwerfen vom heutigen Leben junger Leute in Beirut. Wild, absurd und grausam zeichnet Rajeh diese Welt und beeindruckt durch seinen unkonventionellen Einsatz von Tanz, Live-Musik und Theater. Dort, wie auch in der nachfolgenden Produktion „Guerre au Balcon“, steht das Leben stets im Schatten des Todes. Es geht ums Überleben. Omar Rajeh interessiert vor allem, was die Bühne mit dem Leben zu tun hat. Das Maqamat Dance Theater will mehr sein als eine herkömmliche Tanzcompagnie: Man versteht sich als Plattform, die die Zusammenarbeit von Performern, Choreografen, Musikern, Komponisten, Regisseuren zur Etablierung eines neuen Theaters im Libanon befördert. Marga Wolff

Maqamat Dance Theater: „Guerre au Balcon“: 19. – 21. 8., 20. 30 Uhr, Kampnagel