CANCÚN: DIE GLOBALISIERUNGSKRITIKER ORIENTIEREN SICH NEU
: Nach dem Gipfelsturm

Nur ein paar tausend Globalisierungskritiker haben den Weg nach Cancún gefunden. Ist das Zeichen für einen Niedergang der Bewegung? Eher nicht. Die Demo-Abstinenz hat zum einen praktische Gründe: Cancún liegt weit weg von Metropolen auf einer sumpfigen Halbinsel. Und: Zu den Globalisierungskritikern in Mittelamerika gehören nicht wie bei uns in erster Linie Studenten und gut ausgebildete Erwachsene. Es sind vielmehr die Betroffenen, die protestieren – in erster Linie die Bauern. Für die aber sind 100 Dollar Gebühren für ein Einreisevisum nach Mexiko schlicht unerschwinglich.

Auch aus Europa und den USA sind nur wenige Demonstranten angereist – und das ist gut so. Viele Globalisierungskritiker scheinen begriffen zu haben, dass sie auf solchen Konferenzen nur symbolische Wirkungen erzielen können. Das war noch vor einigen Jahren anders. Damals brauchte die Bewegung die Straße, um Medien und Öffentlichkeit auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Doch spätestens seitdem 2001 in Genua beim G-8-Gipfel 100.000 Menschen demonstrierten, ist Globaliserungskritik keine Nischenthema mehr. Im Gegenteil: Die Nachteile der Globalisierung fehlen heute in keiner Politikerrede zum Thema Handel mehr.

Dass die große Masse der WTO-Tagung fernblieb, ist aber auch eine Re-Reaktion: Die Wirtschafts- und Freihandelsgipfel zogen sich als Reaktion auf Genua zunehmend in schwer erreichbare Regionen zurück – in das Emirat Katar, in das Bergdorf Kananaskis, auf die Landzunge vor Cancún. Und die Globalisierungsgegner reagieren nun auch – und bleiben weg. Schließlich sind Protestaktionen wenig attraktiv, wenn man von vornherein weiß, dass man es nicht mal bis zum Eingang des Konferenzgebäudes schaffen wird.

Die Kritiker der Globalisierung tun daher gut daran, ihr „Gipfelhopping“ zu reduzieren und stattdessen andere Wege der Einflussnahme zu suchen – etwa politische Bildungsarbeit zu Hause. Wie effektiv dies sein kann, zeigen zur Zeit die Initiativen gegen das Cross Border Leasing in Deutschland oder auch der Bundestagsbeschluss gegen das Dienstleistungsabkommen Gats. Der ist den globalisierungskritischen Gruppen zu verdanken. Erst sie machten ein paar Abgeordnete auf die Probleme aufmerksam, die mit der Liberalisierung von Dienstleistungen entstehen können.

Wenn die Globalisierungskritiker auf den Gipfeln trotzdem noch Präsenz zeigen wollen, ist es allemal vernünftiger, Geld an die Aktivisten vor Ort zu überweisen, wie es Attac im Vorfeld der WTO-Tagung getan hat. Für einen Deutschen, der zu Hause bleibt, konnten mehr als hundert Mexikaner zu den Demonstrationen fahren. KATHARINA KOUFEN