Kinderdemo gegen Masterplan

In Friedrichshain-Kreuzberg müssen 19 Kitas den Raumbedürfnissen der neuen Ganztagsschulen weichen. Die betroffenen Eltern sind sauer: Sie fühlen sich vom Bezirk bei der Planung übergangen

VON ALENA SCHRÖDER

Dass es auf einer Demo laut zugeht, ist nicht weiter verwunderlich. Ohrenbetäubend wird es, wenn die DemonstrantInnen rund 100 Kinder im Alter zwischen null und drei Jahren sind, die mit ihren Eltern das Kreuzberger Bezirksamt an der Yorckstraße aufmischen wollen. Dort wollte der Jugendhilfeausschuss am Dienstag den so genannten Masterplan beschließen, der im Rahmen der Umstrukturierung der Kita-Landschaft auch die Schließung von 19 städtischen Kindertagesstätten mit 1.887 Plätzen vorsieht.

Ausgerüstet mit Transparenten, Rasseln, Trillerpfeifen und einem großen Vorrat an Apfelsaftfläschchen und Pfefferminztee belagerten Eltern und Kinder den Sitzungssaal, um den Beschluss zu verhindern oder doch zumindest noch einmal zu diskutieren. „Bei der Auswahl der zu schließenden Kitas ging es nicht um die Qualität der Einrichtungen, sondern allein um Standortfragen“, sagt Ralf Kohfeld, Elternsprecher der Kita Hagelberger Straße. Die Eltern beklagen zudem, bei den Planungen nicht mit einbezogen worden zu sein.

Mit einiger Verspätung konnte die Sitzung am Abend doch noch beginnen, der Masterplan wurde beschlossen. Das neue Schulgesetz, das ab dem kommenden Jahr in Kraft tritt, kann damit im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg umgesetzt werden. Danach werden alle Grundschulen zu offenen Ganztagsschulen erweitert. Bislang waren auf der Kreuzberger Seite des Bezirks die meisten Hortplätze für die Nachmittagsbetreuung der Schulkinder an Kitas angeschlossen. Die Folge: Kitas in Schulnähe werden komplett zu Horten umfunktioniert, die Kleinkinder müssen in andere Kitas umziehen.

Für die zuständige Jugendstadträtin Sigrid Klebba (SPD) bedeutet die Umstrukturierung vor allem eine Verbesserung der Schulen. Außerdem könnten die betroffenen Kinder problemlos auf andere Kitas verteilt werden. Dass Qualität oder besondere pädagogische Konzepte die Kitas nicht vor der Schließung bewahren können, zeigen die Beispiele dreier betroffener Einrichtungen. Die Kita Hagelberger Straße zählt als einzige in Berlin zu bundesweit 21 Kindertagesstätten, die vom deutschen Jugendinstitut als „Beispiel guter Praxis“ für ihr familienunterstützendes Betreuungsangebot ausgezeichnet wurden. 60 Kinder werden hier zeitlich flexibel zwischen 8 Uhr und 20.30 Uhr betreut – für Eltern mit unregelmäßigen Arbeitszeiten eine große Erleichterung. Die Räume werden jetzt der angeschlossenen Grundschule zugeteilt, die Kinder sollen in die Kita Baerwaldstraße umziehen, wo nicht nur die Gruppen deutlich größer sind, sondern die Kinder auch bis spätestens 17 Uhr abgeholt werden müssen. Der Vorschlag von Seiten der Eltern, mit der Kita in den Hort Methfesselstraße umzuziehen, stößt im Bezirk auf taube Ohren: Die frisch renovierten Räume werden in Zukunft leer stehen.

Ebenso betroffen ist die Integrationskita Adalbertstraße, in Berlin die älteste Einrichtung für behinderte und nichtbehinderte Kinder. Die Kosten seien zu hoch und der Bedarf im Kiez zu gering, begründet das Bezirksamt die Entscheidung. Für Elternsprecherin Katharina Uppenbrink ist das leicht zu entkräften: „Die Kosten liegen mit 500 Euro pro Kind noch unter dem Durchschnitt.“ Von mangelnder Nachfrage könne keine Rede sein: „Die Kita hat immer lange Wartelisten.“ Für Uppenbrink ist die Entscheidung des Bezirksamtes eine „bewusst in Kauf genommene Vernichtung von gewachsenem sozialem Kapital in Kreuzberg“.

Geschlossen wird auch die älteste und größte Krippe Berlins am Mehringdamm 116. 103 Kinder bis zu drei Jahren werden hier betreut, nun sollen sie auf andere Kitas und kostengünstigere Tagesmütter verteilt werden, die – anders als die Erzieherinnen der Einrichtung am Mehringdamm – oftmals nicht auf Kleinstkindpädagogik spezialisiert sind. Nach Angaben des Bezirksamts ist das Gebäude nicht für eine Kita geeignet. Dabei hatte das Bauamt die Räumlichkeiten erst vor einem Jahr abgenommen und für kindgerecht befunden. Unter den Eltern kursiert der Verdacht, das Bezirksamt sei vor allem auf die lukrative Immobilie scharf: Die Krippe ist in einer dreigeschossigen Jugendstilvilla untergebracht. Das Bezirksamt dementiert.

Ein bisschen kommt der Jugendhilfeausschuss den protestierenden Eltern und Kindern dann doch noch entgegen: „Der Masterplan ist beschlossen, trotzdem soll vor Ort die Perspektive für jeden Standort mit den Betroffenen noch einmal besprochen werden. Es besteht also noch Korrektur- und Interventionsmöglichkeit“, sagt der Ausschussvorsitzende Knut Mildner-Spindler (PDS). Für Elternsprecher Kohfeld ist das Augenwischerei: „Die Stadträtin will diese Sache durchziehen und hat offenbar kein Interesse daran, Spielräume zu nutzen.“