Wendlandsprecher wird zum Diplomaten

Die Anti-Atom-Initiative von Lüchow-Dannenberg verliert einen bekannten Kopf an die Türkei

Bisher sagte Wolfgang Ehmke Sätze wie: „Wir stellen uns quer“ oder „Der Castor muss weg“. Künftig wird er sagen: „Iyi Günler, sevgili Ögrenciler!“ Nicht Eingeweihten sei verraten, dass dies „Guten Tag, lieber Schüler“ auf Türkisch heißt. Wolfgang Ehmke, Deutschlands profiliertester Wendland-Aktivist und Castor-Gegner, geht ins Exil. „Schon der Protest gegen den nächsten Atommüll-Transport im November muss ohne mich auskommen“, sagt Ehmke, der lange Jahre Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg war. Am 1. September beginnt nämlich sein Dienst bei der Deutschen Botschaft in Ankara. Als Erziehungsattaché wird er dort für die Fortbildung türkischer Lehrer verantwortlich sein.

Sicherlich: Im Wendland gab es Protest gegen Ehmkes geplante Protestabwesenheit. Ehmke: „Dagegen muss ich mich aber durchsetzen. Schließlich habe ich sehr hart für diese berufliche Chance gekämpft.“ Vor drei Jahren begann der jetzt 56-Jährige in Hamburg ein Zusatzstudium „Interkulturelle Pädagogik“. „Vier Semester, mit Abschluss, Zertifikat und allem was dazugehört.“ Pflichtfach war unter anderem eine Migrantensprache. Ehmke entschied sich für Türkisch. Auf Ankara freut er sich, auf „ein kulturell und politisch interessantes Land“, in dem er zunächst drei Jahre bleiben will.

Herr Ehmke, wie weit ist das nächste Atomkraftwerk von Ankara weg? Da muss der Wendlandaktivist doch erst mal kurz nachdenken. „Das müsste Cernovoda in Rumänien sein.“ Aber warum denn in die Ferne schweifen: Auch in der Türkei gibt es seit zehn Jahren Pläne für den Bau eines AKWs. Und natürlich organisierten Widerstand gegen diese Pläne? „Nein“, sagt Ehmke, „das wird nicht mein Ding“. Er habe zwar Kontakte zur türkischen Anti-AKW-Bewegung. „Aber ich gehe nach Ankara, um mich nicht gegen etwas zu engagieren, sondern um mich für kulturelle Brücken einzusetzen.“

Brücken bauen. Kann das Ehmke, dem die Kraft der Sprache und der Polarisation gegeben ist, überhaupt? „Was kann ein grüner Polizeipräsident anderes bewirken, als Mäßigung predigen und am Ende doch den Vollzug des Atomstaates besichtigen“, fragte er etwa, als unter rot-grüner Regie die Castortransporte ins Lager Gorleben wieder begannen. Oder: „Die Demonstration staatlicher Gewalt mit 14.000 Beamten und eingeschränkten Grundrechten – im Wendland ist jener Atomstaat zu besichtigen, den Robert Jungk einst prophezeite.“ Jetzt wird Ehmke also Botschafter jenes Atomstaates, was ihm den Vorwurf einbringt, er habe sich kaufen lassen. „Das stimmt nicht. Ich habe für diesen Traum sehr kämpfen müssen“, wehrt sich Ehmke. Normalerweise nämlich hätte er fünf Jahre lang seine erworbenen Kenntnisse in Hamburg einsetzen müssen.

Kein Castor-Protest mehr, Herr Ehmke, überhaupt kein bisschen? Manche Menschen können nicht anders: „Ich denke, ein paar Solidaritätsadressen werde ich schon sammeln“.

NICK REIMER