Nelken in Trauer und Widerstand

Bei der Demonstration kurz vor Ende der Welthandelskonferenz in Mexiko reißen die Demonstranten die Absperrung ein, um der Polizei Blumen zu schenken. Die globalisierungskritischen Proteste waren kleiner als in den vergangenen Jahren

aus Cancún KATHARINA KOUFEN

Die mexikanische Polizei hat dazugelernt. Statt eines Zauns sichern am vergangenen Samstag plötzlich zwei Zäune den Eingang zu der schmalen Landzunge von Cancún, wo die Welthandelsorganisation (WTO) tagt. Zwischen den beiden Zäunen liegen Betonklötze. Erst 100 Meter hinter dieser Doppelabsperrung stehen die Polizisten. 1.700 sollen zur Hauptkundgebung gegen die WTO-Tagung im Einsatz sein.

Die Frage, die den Kellner im Hotel genauso bewegt wie die Verkäufer, die ihre Läden vergittern: Werden die Demonstranten es wieder schaffen, die Barriere umzureißen – wie auf der Bauerndemo am Mittwoch zuvor? Vier Stunden verbringen die Globalisierungskritiker in der Mittagshitze des Samstags mit Schneiden, Schrauben und Hämmern, dann hat der Zaun mehrere Löcher. Mit asiatischer Disziplin bilden die Demonstranten eine Kette und ziehen an zwei Seilen, die ein Koreaner an dem Zaun befestigt hat. Irgendwann stürzen die losen Teile zu Boden. Gesicht an Gesicht stehen sich jetzt Demonstranten und Polizisten gegenüber. Doch statt Prügel teilen die Koreaner weiße Nelken aus. Und statt auf die Polizisten zuzustürmen, setzen sich die ingesamt rund 4.000 Demonstranten still auf den Boden und gedenken des „Compañero Lee“. Der 56-Jährige hatte sich vor den Augen von Demonstranten und Polizisten am Mittwoch ein Messer ins Herz gerammt. Er wollte auf die schwierige Situation der koreanischen Kleinbauern aufmerksam machen und hatte schon im Winter wochenlang vor der WTO-Zentrale in Genf campiert.

Grotesk wirkt vor dieser Trauergemeinde der Hintergrund aus kampfbereiten Polizisten, Absperrungen und Wasserwerfern – so grotesk wie auch die Gräuelpropaganda von Polizei und Medien im Vorfeld der WTO-Tagung. Fragt man Mexikaner auf der Straße nach der Konferenz, so haben die wenigsten Ahnung, worum es geht, fürchten sich aber alle vor den gewalttätigen „Globalisierungsphobikern“.

So nehmen viele Cancúner auch die Sicherheitsmaßnahmen klaglos hin. 34 Schulen wurden geschlossen. Insgesamt hatte die mexikanische Regierung an die 10.000 Polizisten und Soldaten aus allen Teilen des Landes in Cancún zusammengezogen. Zwölf Kriegsschiffe liegen vor der Küste, Kampfflugzeuge stehen bereit.

Die Bilanz auf der Seite der WTO-Gegner: Mit zwischen 4.000 und 6.000 Teilnehmern waren die beiden wichtigsten Demonstrationen schlecht besucht. Zum Vergleich: 2001 waren 100.000 Demonstranten nach Genua gekommen. Mit 46 zum größten Teil leicht Verletzten und ohne Verhaftungen liefen die Proteste glimpflich ab. Auch auf der Bauerndemonstration am vergangenen Mittwoch beschränkte sich die Gewaltbereitschaft auf eine kleine Gruppe Autonomer. Die Polizisten hielten sich, ihrem brutalen Ruf zum Trotz, bei allen Protesten zurück.

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