berliner szenen Luftige Leinenkleider

Bergmannstraße rules

Sonnenenplätze sind rar in der Bergmannstraße, wo das Leben swingt und die Thai-Suppe schmeckt. Ich fege im Geiste den staubigen Weg vor meinem Kloster und deute die Botschaft des Zitronengrases. Nebenan sitzt eine Gruppe naturbelassener Damen mittleren Alters: luftige Leinenkleider, praktische Haarschnitte, Schmuck vom Kunsthandwerker. Sie haben Probleme, über die sie laut reden: die Montessori-Eltern, die nicht konfliktbereit, die Schüler, die nicht lernwillig, und die Senatsbestimmungen, die unzumutbar sind. Die Wortführerin mit pfiffig angeschrägtem Mireille-Matthieu-Haarschnitt sagt, dass auch irgendwann mal Schluss ist. Einhelliges Geärgere ist angesagt.

Bevor es zum Spontanplenum kommt, schiebt sich ein junger Mann ins Blickfeld, exotisch angetan mit Kaftan, Kappe und Kinderfahrrad, das er direkt vor den Ladys abstellt. Dann zieht er ein Plastikviereck aus den Falten seines Umhangs und sagt mit säuselnder Stimme, das hier sei das fetteste Latin-Dancehall-Ding der Stadt, ein Supersound, im Selbstverlag gemacht, keine Multis, keine Abzocke, astrein. Die CD für nur sieben Euro, und wenn man sich die reintut, dann ist das die volle Ladung, da geht man mit einem Hüftschwung zur Arbeit.

Die Damenrunde ist angefixt, erinnert sich vielleicht an den letzten Single-Urlaub in der Karibik. Verzagte Mienen hellen sich blitzartig auf. Wie man sich die CD denn „reintun“ soll, gurrt die Mireille-Matthieu-Frisur, und der schwarz gelockte Kaftan sagt, sie soll das einfach hören und gute Laune haben, und er heißt Djamal, und auf dem Cover steht seine Telefonnummer. Sie fragt, ob er Aladin mit der Wunderlampe ist. Er sagt, ja, wenn sie es will. Sie gibt ihm zehn Euro für die CD. Er behält das Restgeld, sie protestiert nicht. JANA SITTNICK