Krischna am Brandenburger Tor

Indische Mythologie meets Berliner Stadtbild: Zurzeit sind Billboard-Maler aus Indien in Berlin zu Gast und bemalen in rasanter Geschwindigkeit große Leinwände im ethnologischen Museum. Die ersten Billboards sind bereits am Alexanderplatz zu sehen

Erst die Feinheiten aus der Nähe ansehen, dann die Fernwirkung bewundern

von DOROTHEE WENNER

In Indien sind „Billboards“ vielerorts zum Verkehrshindernis geworden. Je größer, chaotischer und unübersichtlicher eine Straßenkreuzung, umso geeigneter ist sie aus Sicht von Werbeexperten für das Aufstellen der riesigen Plakatwände, auf denen meistens für neue Filme geworben wird. Vorzugsweise zeigen die Billboards Stars in dramatischen Farben und Posen und tragen auf diese Weise noch erheblich zur Verschlimmerung des Chaos bei, weil immer wieder Verkehrsteilnehmer bei der Betrachtung ins Träumen kommen. Deswegen äußern sich in Indien viele Städter erleichtert über die geplante Neuregelung des Billboard-Wesens, das eine wie auch immer geartete Ordnung schaffen soll.

Wer dieser Tage über den Alexanderplatz flaniert, kann dieses Spezialproblem indischer Verkehrspolitik nur bedingt nachvollziehen. Dort nämlich wurden die ersten vier Billboards der Stadt aufgestellt, die einzelne Veranstaltungen oder Spielorte der gerade begonnenen „Asia-Pazifik-Wochen“ bewerben, 30 Billboards soll es bis dahin in ganz Berlin geben. Die Billboards auf dem Alex verhalten sich zu den indischen Originalen zwar nicht wie Miniaturen – sie haben etwa die Größe von Bildern, die in Empfangsräumen von Medienagenturen hängen – aber sie wirken ob ihrer Ausmaße sehr dezent, eher wie eine Kunstaktion denn wie eine schrille Werbemaßnahme. Größer aber durften die Billboards für Berlin nicht werden, denn die zuständigen Ordnungshüter hier fürchteten schon lange vor Ankunft des ersten Billboard-Malers indisches Chaos. So fuhrwerkten sie dem Kurator dieser Ausstellung, Andreas Weigelt, nicht nur durch die Größenbeschränkungen ins Konzept. Es war extrem schwer, überhaupt öffentliche Plätze zu finden, auf denen man Billboards aufstellen darf.

Dennoch wäre es ungerecht, den hiesigen Behörden allein die Schuld für die „Verkunstung“ der opulenten Street-Art aus Indien zu geben – wenn Schuld überhaupt der richtige Ausdruck ist. Die Billboard-Maler werden nämlich in Indien nicht mehr gebraucht, weil inzwischen in der Filmbewerbung fast nur noch mit digital reproduzierten Fotos gearbeitet wird. Das ist unter Umständen schon billiger als die Fertigung von handgemalten Plakaten, vor allem aber gelten Originalfotos unter Kinofans als moderner – deswegen trauert in Indien kaum jemand den alten Billboards nach, die seit den 60er-Jahren maßgeblich das Straßenbild indischer Metropolen prägten. Dramatische Konsequenzen hat diese technische und geschmackliche Neuerung vor allem für die vielen tausend Plakatmaler, deren wichtigste Existenzgrundlage weggefallen ist.

„Es ist der Tod einer Kunstrichtung“, meint der südindische Galerist Ashvin Rajagopalan, der die Berliner Billboard-Aktion mitorganisiert. Rajagopalan hatte Andreas Weigelt bereits Ende der Neunziger – als noch niemand diesen schnellen Zusammenbruch der Plakatmalerei voraussehen konnte – in Chennai (Madras) mit zwei Meistern dieses Genres bekannt gemacht. Senthil Kumar und Jothi Lingam bemalen derzeit im Ethnologischen Museum jeden Tag etliche Quadratmeter Leinwand, und zwar mit einer beeindruckenden Geschwindigkeit. Das ist noch ein Relikt aus alten Zeiten, als Tempo zur Berufsqualifikation gehörte. Die Plakate, die für die APW entstehen, sind Beispiele der „südindischen Schule“ und von Thota Tharani entworfen worden – einem Star unter den Filmarchitekten von Chennai. Tharanis Billboards sind viel filigraner als die aus Bollywood, sie sind detailreicher, und manche funktionieren beim längeren Betrachten wie komplette Geschichten.

Besonders schön sind die Billboards, in denen einzelne Elemente aus dem Berliner Stadtbild mit indischer Mythologie malerisch vereint wurden: Auf einem fliegt etwa der Affengott Hanuman über das Rote Rothaus, trägt das „Park Inn“-Hotel vorsichtig vor sich her, hat aber statt seiner klassischen Waffe den Ostberliner Fernsehturm in die Hand gezeichnet bekommen. Auf einem anderen geht die Fassade vom HdKW wie eine gold leuchtende Sonne hinter dem Horizont von Benares unter.

Fotos statt Malerei: Billboard-Maler werden in Indien nicht mehr gebraucht

Es lohnt sich, die Billboards erst aus der Nähe anzusehen und dann die Fernwirkung zu bewundern. Diesen Effekt zu beherrschen, gehört zu den wichtigsten Fähigkeiten eines Plakatmalers, wobei die besten Tricks gern von Vater auf Sohn vererbt wurden. Wie fast alle Filmberufe wurde auch die Plakatmalerei in Indien auf diese Weise an die nächste Generation weitergegeben.

Die meisten der Berliner Billboards sind auf Kommissionsbasis entstanden, entsprechend tauchen überall Logos, Namen und Veranstaltungshinweise auf. Man wäre gelegentlich gerne dabeigewesen, wenn die Vorgaben der Auftraggeber von den indischen Künstlern interpretiert wurden.

Insbesondere, als es um die Gestaltung des grafischen Leitmotivs der Asia-Pazifik-Wochen ging. Auf diesem gestaltete Thota Tharani eine ganz eigene Vision vom Brandenburger Tor: Er kippte die Quadriga aus ihrem Wägelchen und ersetzte sie durch den blauhäutigen Gott Krischna, dann tunte er die Kutsche selbst erheblich auf, vergoldete sie – und ließ sie in einem Affentempo Richtung Osten preschen, wobei die Pferdehufe schon längst ihr angestammtes Territorium verlassen haben …

Die Billboards werden am 4. Oktober im Ethnologischen Museum versteigert. Man kann aber auch noch Billboards nach eigenen Vorgaben bei den Künstlern bestellen. Ein Bild 3 mal 5 Meter kostet um die 900 Euro, nähere Informationen unter: 3 91 34 50