Der Kaktus im Blätterwald

Obdachlosenzeitung „Asphalt“ wird zehn Jahre alt. Derzeit gibt sie 130 Verkäufern in Niedersachsen Arbeit – und ein bisschen Würde. Die Leser kaufen nicht nur aus Mitleid

HANNOVER taz ■ Du sollst keine andere Zeitung haben neben mir, behauptet die taz normalerweise. Bei dieser Art von Publikation wollen wir allerdings mal eine Ausnahme machen.

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, liebe Asphalt! Die Obdachlosenzeitung aus Hannover hat in den zehn Jahren ihres Bestehens nicht nur weit über zwei Millionen Käufer gefunden – vor allem gibt sie ihren monatlich derzeit 130 Verkäufern Arbeit und damit ein Stückchen Würde.

„Sie helfen, wir informieren“ ist der Slogan des Monatsmagazins für Niedersachsen, dessen Vorbild das Hamburger Blatt „Hinz & Kunzt“ war, das zusammen mit dem Münchener „Biss“ als Deutschlands erstes Straßenmagazin bereits Ende 1993 an den Start gegangen war.

Journalisten sprachen damals von einem „Medienwunder“, bis heute etablierten sich bundesweit 40 Magazine. „Wir verkauften anfangs bis zu 50.000 Exemplare“, erzählt Redakteur Volker Macke. Allerdings habe der „große Mitleidseffekt inzwischen nachgelassen“. Immerhin bringen Wohnungslose derzeit noch 25.000 Asphalt pro Monat in den Fußgängerzonen zwischen Oldenburg, Lüneburg und Hameln an Frau und Mann. Kostenpunkt für 32 Seiten: 1,40 Euro, davon gehen 70 Cent an den Verkäufer. Dennoch kann sich das Projekt nur mit Spenden über Wasser halten, die etwa die Hälfte des Etats ausmachen.

Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) kaufe sich das Blatt regelmäßig, während ausgerechnet SPD-Fraktionschef Sigmar Gabriel, der sich gerne als linke Herzkammer der Partei sieht, laut Macke das Blatt stets links liegen läßt. Ob Gentechnik oder Hartz IV, Studiengebühren oder Verkäuferportraits – auf meist 32 Seiten informiert Asphalt am liebsten über sozialpolitische Themen. Die Folgen der Gesundheitsreform für Obdachlose habe Asphalt als erste Publikation in Niedersachsen zum Thema gemacht, erzählt Macke. Und: „Wir sind halt der Kaktus im Blätterwald“.

Besonders beliebt bei den Lesern: die „Nachschlag“-Kolumne, in der Edelgastronom Jürgen Piquardt über das Essen philosophiert – das den Obdachlosen so oft fehlt.

Auch eine Leserumfrage hat es schon gegeben. Den Inhalt benoteten die Befragten mit „gut“. Fazit der Analyse: Die Leser kauften nicht nur aus Mitleid, sondern „weil das Magazin der Inhalte wegen geschätzt wird“. ksc