fern vom zeus: So schnell kann’s gehen
Countdown. Timing. Tempo machen. Strafminuten. Die Zeit dominiert den Sport, ewiglich
Die gesammelten Auskünfte der TV-Reporter in Athen lassen sich im Grunde auf zwei schlichte Erkenntnisse reduzieren: „Man weiß gar nicht, was man sagen soll“ (Christa Haas) und „So schnell kann’s gehen“ (alle anderen). Letztgenannte Weisheit durchzieht die gesamte Berichterstattung seit dem Beginn der Spiele. Schwupps – und Andreas Klöden ist beim Radrennen ausgeschieden, peng – und Franzis Medaillenträume sind geplatzt, zack – und Astrid Kumbernuss stößt die Kugel zu kurz, hopplahopp – eine Volte um den Orangenbaum und die Vielseitigkeitspferde gewinnen Gold, dann wieder nicht, kurz darauf doch. So schnell kann’s gehen, ja, ja.
Überhaupt ist der Sport eine von der Zeit dominierte Angelegenheit: Wenn es nicht sowieso schon um Zehntel und Hundertstel geht, wird Tempo gemacht, stimmt das Timing nicht, läuft der Countdown, liegt die letzte Hoffnung im Zeitfahren, ist es zu spät oder noch nicht der richtige Zeitpunkt oder gar eine „herausragende Unzeit“ (Schwimmcheftrainer Ralf Beckmann). Und was wäre schon ein Weltrekord, wenn er nicht schneller wäre als alles, was vorher gestoppt wurde?
Selbst Sportarten, bei denen es nicht vornehmlich darum geht, enorme Geschwindigkeit (v = Weg/Zeit) an den Tag zu legen, sind vom Zeitlichen gesegnet: Beim Tennis begrenzt ein scharfes „Time“ des Schiedsrichters die Pause beim Seitenwechsel, Handballer werden zwei lange Strafminuten auf die Bank geschickt, und sogar ein Frauenfußballspiel dauert 90 Minuten. Zudem wird fast keiner müde zu betonen, dass die Olympischen Spiele nach 108 Jahren wieder an ihren Ursprung zurückgekehrt sind, eine lange Weile, die sonst im Hochleistungssport eher selten vorkommt.
Und auch Anastacia scheint auf das Motto gepolt und poltert im ZDF-Olympia-Song „Time keeps running away“. Olympia also im Würgegriff der Zeit? Einem Etwas, das selbst schlaue Philosophen seit eh und je ratlos macht? Die von heute aber nennen sich Sportphilosophen und drehen den Spieß einfach um. Wenn man schon die Zeit nicht erklären kann, erklärt man den Sport mit Hilfe der Zeit. Und zwar so: Durch ständiges Training und die endlose Wiederholung des Augenblicks bekomme dieser plötzlich Ewigkeitscharakter. Hmhm, okay, Chronos und Kairos lachen sich zwar ins Fäustchen, aber egal: 50-mal in Folge die Rollwende vorm Beckenrand, 25 Mal hintereinander den Salto vom Dreimeterbrett oder eine Serie Felgaufschwünge am Stufenbarren – wer es probiert, merkt, dass sich die Ewigkeit ziemlich schwindelig anfühlt. Kein Wunder, dass unsere Athleten so von der Rolle sind. Und was bleibt dem Zuschauer in diesem Zeitinferno? Nichts anderes übrig als Warten. Nämlich darauf, dass sich das Ziffernblatt endlich wendet, der richtige Moment gekommen ist und die deutschen Olympioniken irgendwann doch noch richtig erfolgreich werden.
Immerhin, ein Anfang ist gemacht: Sechs Medaillen gab es vorgestern, sechs an einem Tag, davon zwei güldene, eine weitere gestern Vormittag. So schnell kann’s also gehen. Wurde auch Zeit! JUTTA HEESS
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