beim zeus
: Athen ist eine kleine Reise wert

FRANK KETTERER über einen prominenten Olympia-Urlauber, der hin und wieder auch mal aufs Fahrrad steigt

Olympia kann wirklich prima sein. Die Sonne scheint, es ist wunderbar warm, das Meer ist auch nicht weit entfernt und nette Menschen lernt man jede Menge kennen. Olympia, um das einfach mal so hinzuschreiben (Achtung, Chefredaktion: Dies gilt ausdrücklich nicht für die Reporter hier!!), ist also ein bisschen wie Urlaub. Findet übrigens auch Jan Ullrich, der seine Olympiaferien zwar schon zweimal hat unterbrechen müssen, um ein bisschen zu arbeiten, sich ansonsten aber prächtig zu amüsieren scheint. Nun besteht Ulles Arbeit ja a.) bekanntlicherweise aus Radfahren, was sowieso prima urlaubskompatibel ist. Und b.) geht er ihr in Athen wie gesagt nur ein bisschen nach. Im Straßenrennen letzten Samstag hat das zu Rang 19 geführt; beim Einzelzeitfahren, eigentlich eine Domäne Ullrichs (zumindest wenn dieser blöde Ami nicht mitradelt), wurde es am Mittwoch Platz sieben. Das löst natürlich republikweit tiefe Enttäuschung aus bei einem, der vor der Saison noch die Tour de France gewinnen – und danach, als er die Tour verloren hatte, zumindest sein Olympiagold von Sydney verteidigen wollte. Seine Tage in Athen aber will sich Ulle davon nicht madig machen lassen. Ist schließlich Olympia. Ist schließlich Urlaub.

Wobei: Natürlich leidet auch Ulle darunter, dass er jetzt ohne Medaille nach Hause fahren muss, aber eben nur ein bisschen, so wie er hier ja auch nur ein bisschen gearbeitet hat. Wortwörtlich hat Ulle, der verdammt braun gebrannt ist, gesagt: „Es tut natürlich weh. Aber es tut auch wieder nicht weh, weil ich ja schon Olympiasieger bin. Ich habe ja schon zwei Medaillen, insofern ist es egal. Olympia kann auch so Spaß machen.“ Natürlich – und vielleicht ist das ja auch der Grund, warum er bei der Tour de France in diesem Jahr zum ersten Mal nicht aufs Treppchen der Sieger gefahren ist: Warum sollte er? Hat er doch auch schon gewonnen, auch wenn das verdammt lang her ist.

Man kann einem Konzern wie der Telekom mit ihrem Team T-Mobile nur gratulieren zu einem Mitarbeiter, der so prima abzuschalten und auszuspannen vermag wie Ulle. Was die obersten Bosse der Bonner Fernmelder allerdings irritieren dürfte, ist, dass sie dem Vorarbeiter ihrer Radelabteilung gar keinen Urlaub gewährt haben für Olympia, sondern ihn zum Gewinnen und Malochen nach Athen geschickt haben – und das nicht nur für ein bisschen. Schließlich hat sich auf Herrn Ullrichs Arbeitskonto in diesem Jahr ein ziemliches Minus angesammelt, jedenfalls was die Ergebnisse angeht – und die Zeit und die Gelegenheiten, dieses auszugleichen, werden immer weniger.

Wie man so etwas prinzipiell macht, hat der Amerikaner Tyler Hamilton gezeigt, der das Zeitfahren vor dem Russen Wjatscheslaw Jekimow und seinem Landsmann Bobby Julich gewann. Danach hat Hamilton, der bei der Frankreich-Rundfahrt nach zehn Tagen verletzt aussteigen musste, gesagt: „Ich habe bei der Tour gelitten. Dafür habe ich jetzt Gold.“

Ullrich hingegen hat nichts. Bei der Tour nicht und bei Olympia gleich zweimal nicht. Und dass ihm das ziemlich schnuppe scheint, wirft mal wieder zwangsläufig die Frage nach seiner Berufseinstellung auf. Schon gleich nach der Tour war das der Fall, als Walter Godefroot, der sportliche Boss der T-Mobiles, seinen Vorarbeiter doch ungewöhnlich offen ob seiner laschen Arbeitsmoral gerügt hatte. Interessante Details wurden damals bekannt, zum Beispiel jenes, dass Ulle einen anberaumten Aerodynamik-Test im Windkanal bei Audi habe sausen lassen, einfach so; wahrscheinlich hat er irgendwann schon einmal ein Rennen im Windkanal gewonnen. Zwar wurde im Hause T-Mobile anschließend die Friedenspfeife geraucht, gut möglich aber, dass das im Hinblick auf Olympia geschehen ist, Ulles großer Chance zur Rehabilitation. Und nun wieder auf den Tisch kommt, nicht nur bei Godefroot, sondern auch ein paar Etagen höher im T-Mobile-Konzern. Schließlich bezahlen sie ihrem Mitarbeiter Ullrich ein nettes Jahressalär, die Rede ist von 2,5 Millionen Euro. Da darf man schon mal Leistung erwarten – und Siege. Und das bei Großereignissen und nicht nur bei Radeltouren durch die Schweiz, die ja ebenfalls ein Urlaubsland ist. Zumal sie auch Andreas Klöden im Team haben, den diesjährigen Zweiten bei der Großen Schleife. Dem Vernehmen nach hätte Godefroot Ullrich schon bei der diesjährigen Tour gerne degradiert – und Klöden an seiner statt zum Mannschaftskapitän erklärt, wurde mit diesem Ansinnen allerdings von der Konzernspitze zurückgepfiffen, schließlich ist die ganze Werbekampagne auf Ulle ausgerichtet. Und wer kannte vor der Tour schon Andreas Klöden?

Ullrich scheint sich um Dinge wie diese reichlich wenig zu scheren. Warum auch? Ist schließlich zum Urlauben hier – und ein bisschen auch auf Bildungsreise. „Ich habe festgestellt, dass ich viel zu wenig über andere Sportarten weiß“, hat Ulle deshalb noch gesagt. Dem Vernehmen nach soll er sich hier besonders intensiv mit der Rhythmischen Sportgymnastik beschäftigt haben. Aber das ist schon wieder eine ganz andere Ullrich-Geschichte.