Immer dasselbe Spiel, aber immer bunter

In Leipzig findet zur Zeit die Messe „Games-Convention“ statt: Die internationale Computerspiele-Branche will sich von ihrer besten Seite zeigen und beweisen, dass auch ihre Kunden nicht allesamt schwer sozial gestört sind. Aber außer technischen Neuerungen sind kaum Ideen für neue Spiele zu erkennen. Angeblich schließt der Massengeschmack Experimente aus

VON UKE BOSSE

Zum dritten Mal findet sie statt, und sie gilt als die wichtigste Messe ihrer Art in Europa. Über 230 Aussteller sind dabei, darunter große Namen wie Nintendo, Electronic Art, Sony, Eidos. Die Branche nutzt die Chance gern, sich in der alten Bücherstadt Leipzig von ihrer besten Seite zu zeigen, denn sie hat ein Imageproblem. Ihr Produkt hat im pädagogischen Bewusstsein die Rolle des Fernsehens und der Heavy-Metal-Bands übernommen. Das Spiel „Counterstrike“ ist schuld an Erfurt, „Manhunt“ am Mord von Stefan Pakeerah in England. Computerspiele verwandeln Grundschüler in zappelnde Aufmerksamkeitsverweigerer und Pokemonsammler. Wahrscheinlich enthüllen sie sogar satanische Botschaften, wenn man sie rückwärts spielt.

Bei einigen reicht es ja tatsächlich, wenn man sie vorwärts spielt. Den Vorwurf von Gewalt und Brutalität kann die Spieleindustrie nicht ganz von sich weisen. Wie gut daher, auf einer Messe für die ganze Familie zu zeigen, dass es in Wirklichkeit so schlimm gar nicht ist. Computerspiele stehen heute doch irgendwo zwischen Tür und Angel oder sogar im Wohnzimmer des Mainstreambewusstseins. Mario ist bekannter als Mickymaus, und von nahem betrachtet stellt sich heraus, dass Computerspieler nicht immer picklige Nerds mit mangelnder Sozialkompetenz sind.

Das Männchen in der Maschine

Heute erklären selbst konservative Feuilletons mutig das Computerspiel zum kulturellen Gut, und an einigen Universitäten gibt es inzwischen die Möglichkeit, Spieldesign und Spieltheorie zu studieren.

Als es in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts mit den Computerspielen so richtig losging, haben kleine Teams oder sogar Einzelpersonen Spiele programmiert, die allein von einer guten Idee lebten. An die immer perfekteren grafisch simulierten Abenteuerwelten, die in Leipzig zu sehen sind, war gar nicht zu denken, denn dafür fehlte im Privathaushalt möglicher Käufer schlicht die Hardware. Aber das machte nichts. Ganz im Gegenteil. Jeder, der früher einen C-64 besaß, stöhnt heutzutage bei der Vielzahl von langweiligen Spielen auf und wünscht sich das Spieldesign der guten alten Zeiten zurück.

Der typische Playstation-Teenager von heute jedoch scheint alle vier Monate vor Verzückung fast in Ohnmacht zu fallen, wenn ihm wieder einmal dasselbe im aufgeputschten Grafikgewand präsentiert wird. Im besonders beliebten Genre des „Ego Shooters“ zum Beispiel bleibt die Handlung immer gleich. Man sieht durch die Augen seiner Spielfigur, rennt durch Labyrinthe und beschießt Monster oder seine Mitspieler mit unterschiedlichen Waffen. Neue Grafikeffekte kommen alle paar Monate auf den Markt, neue Spielvarianten nur alle Jubeljahre. Spiele wie „Ultima VII“ waren schon vor über 10 Jahren dramaturgisch ausgereifter als die schicksten nichtlinearen Spiele, die heute hochgehypet werden: Bereits damals konnte man seiner Spielfigur nebenbei verschiedene Gegenstände zusammensuchen und Bier brauen lassen. Jeder der Charaktere hatte seine eigenen Geschichte, und man konnte sich mit ihm unterhalten.

So idyllisch ist das Gespräch mit dem Menschen in der Maschine heute kaum noch. Die Entwicklung eines neuen Spiels kostet mal locker 20 Millionen Dollar, da bleibt nicht viel Platz für Experimente dieser Art. Es gilt, starke Marken aufzubauen und zu verkaufen. Was einen Verkaufsschlager ausmacht, ist immer weniger der Witz einer Spielhandlung, sondern die schöne Optik oder der große Name aus dem Kino.

Filmadaptionen wie „Enter the Matrix“ oder „Shrek“ verkaufen sich immer, ob sie nun gut sind oder nicht, und sie scheinen zu beweisen, dass eine Mehrheit der Kunden mit dem Computer oder Konsole versuchen wollen, sich einem bereits populären Film interaktiv anzunähern. Sie wollen den „Herrn der Ringe“ nicht nur im Kino sehen, sondern das tun, was die Werbung für das darauf basierende Spiel etwas holprig verspricht: „Leb den Film“.

Keine Illusion könnte jedoch größer sein als diese. Zwar hatte die Aneignung filmischer Mittel zu Beginn die Spielwelt bereichert, aber inzwischen verleitet sie die Entwickler meistens nur dazu, die Interaktion mit der Spielfigur nur noch vorzutäuschen. Tatsächlich nimmt man den Spieler an die Hand und führt ihn auf einem sehr festgelegten Handlungsfaden durch die Kulissen. Von „Leben“ kann da keine Rede sein.

Aber der Trend zum halben Leben des Kinospiels beherrscht den Markt, die Anpassung an den angeblichen Massengeschmack geht auf Kosten der Qualität. Die Spieler von damals, die nichts als spielen wollten, sind zur Randgruppe geworden.

Vielleicht haben die Stimmen recht, die Computerspiele verdammen, weil sie verdummen. Aber was kam zuerst? Das langweilige Spiel oder die Dummen, die es dann trotzdem in Massen kauften? Kriegen wir also nur die Spiele, die wir verdienen, sind sie ein Spiegel unserer Gesellschaft? Machen nicht die Spiele die Kinder aggressiv, sondern die Kinder die Spiele?

Die Sackgasse des Realismus

Da die hohen Entwicklungskosten zum Massenerfolg zwingen, werden Innovationen eher misstrauisch beäugt. Gib dem Spieler, was er kennt, und vielleicht einen kleinen Schuss Neuerung dazu. Das reicht. Als Verkaufsargument bleibt nur übrig, dass die Grafik mit jeder neuen Version realistischer sei. Doch genau das führt nur noch tiefer in die Sackgasse hinein. Der Realismus ist völlig überbewertet und überhaupt keine Garantie für ein gutes Spiel. Nichtrealität ist genauso reizvoll, was etwa ein Spiel wie „Zelda – the Windwaker“ beweist, das komplett in zeichentrickartigem Cell-Shading Look ausgeliefert wurde.

Leider beweist dieses Beispiel aber auch, dass solche Experimente befremden. Der Spielcomic verkaufte sich schlecht, und reumütig kehrt Nintendo in der nächsten Version zum realistischeren Gewand zurück.

Ob man dabei von einem Aufruf zur Wirklichkeitsflucht sprechen kann, wie es die konservative Kritik den Computerspielen gern vorwirft, ist diskutabel. Der Kinorealismus und die ewig wiederholten Erfolgsmuster lassen das Medium des Computerspiels in jedem Fall verkümmern, etwa so, als sei der Film nur erfunden worden, um Aufführungen von Theaterstücken auf der Bühne aufzuzeichnen.

Auch das gern vorgetragene Argument der Branche, dass nur die Blockbuster-Adaptionen das Geld für ästhetische Experimente einspielten, überzeugt nicht. Denn anders als im Kino, in dem auch Low-Budget-Produktionen Erfolg haben können, weil man gern über ihre technischen Schwächen hinwegsieht, haben Spiele kaum eine Chance, wenn sie nicht auf dem neuesten technischen Stand sind. Die für die Realitätssimulation nötige „Suspension of Disbelief“ misslingt, wenn die Freude über die schöne neue Welt im Computer dem Ärger über die hässliche Alte eines billig gemachten Programms Platz macht. Schuld daran sind die Entwicklerfirmen selbst. Denn sie sind es, die ihre Kunden bisher mit dem Argument der ständigen technischen Neuerung angehalten haben, sich alle paar Jahre eine neue Konsole zu kaufen und ihren Computer aufzurüsten, um an den neuen, hochgehypeten Versionen der altbewährten Titel teilzuhaben. Natürlich will man dann auch von seiner Investition profitieren und keine seltsamen Strichmännchen über seinen Bildschirm hoppeln sehen.

Kleiner, aber feiner

Seit neuestem jedoch lassen die Spiele für Handys auf eine Umkehr dieses Trends hoffen. Die dürfen mies aussehen, die sind ja noch klein. Und häufig auch alt, die Klassiker von damals werden neu belebt wie die Coverversion eines Musikstücks und führen nun eine untote Weiterexistenz auf modernen Mobiltelefonen. Es stört keinen Menschen, dass da nur Bomberman oder Pacman herumzappeln. Das Spiel ist gut und erfüllt seinen Zweck.

Die intellektuelle Spielerelite greift schon länger zum Internet und saugt sich Programme auf die heimische Festplatte, die auf dem Hochleistungs-PC von heute die primitive Benutzeroberfläche eines Uraltrechners simulieren. Nur so machen die Klassiker von damals so viel Spaß wie damals: Die freiwillige audiovisuelle Selbstkasteiung für Puristen, die nicht aufrüsten, sondern abgerüstet bleiben wollen. Es werden sogar noch Spiele für längst tote Konsolen veröffentlicht oder lieb gewonnene Spiele in Heimarbeit selbst fortgesetzt.

Die Spieleszene ist inzwischen so groß, dass auseinander strebende Untergruppen friedlich koexistieren, darunter auch die konservativen Altspieler, „Retrogamer“ genannt. Die Spieleentwickler ihrerseits passen sich an. Gerade hat Nintento seinen Gameboy „Advance“ in einer Retrovariante herausgebracht und verkauft die alten Spiele unpoliert wieder von neuem – ziemlich gut, wie man hört