Große Fragen, kleine Schlucke

Der Prozess der Geschichte in der Kaffeepause: In der „espressolounge“ in der Bergmannstraße zelebrieren die Fotografien von Ingrid Steinmeister den Abriss des Palastes der Republik als surreales Ereignis

Als blicke man aus einem seltsam unwirklichen Innen auf ein reales Außen, so wirken Ingrid Steinmeisters Fotografien

So eine Espressobar ist ein Ort der Entspannung. Sucht man diese derzeit in der „espressolounge“ in der Bergmannstraße, wird man dabei aber auch ganz unvermittelt mit Zerstörung konfrontiert. Dort sind in der Ausstellung „Der Palast in der Lounge“ Fotografien von Ingrid Steinmeister zu sehen. Sie zeigen den Palast der Republik oder vielmehr dessen Abriss.

Der Titel der Ausstellung scheint etwas zynisch, denn was die Bilder zeigen, ist kein Palast mehr. Wer ihn nur aus intakten Zeiten kennt und den Abriss nicht mitverfolgt hat, der würde ihn auf den Fotos nicht erkennen. Statt des ehemaligen DDR-Wahrzeichens sind nur Stahlgerippe, Rost und bröckelnder Beton zu sehen. Hier wird die Zerlegung, die Demontage dokumentiert. Es ist kein Zerfall in der Zeit, sondern ein aktives Eingreifen. In einer Bildfolge wird das sogar betont, indem die Zerlegung eines Betonstückes durch eine Abrissmaschine in Einzelbilder aufgeschlüsselt wird. Dabei wird der Mensch als Urheber jedoch ausgeblendet. Die Bilder breiten die Demontage als Zustand und als Prozess aus, aber nicht als Menschenwerk.

Die Überbleibsel des Bauwerks erscheinen nicht als Ruine, sondern als plastische Gebilde, als von allen Zwecken befreite Fragmente. Sie bilden keinen bewohnbaren oder nutzbaren Raum mehr, sind auch nicht als Reste eines solchen zu erkennen. Die Zerstörung wird hier zum Ornament. Oft ist durch ein Stahlgerüst hindurch oder hinter einem Betonpfeiler die intakte Welt zu sehen. Sie erscheint in Gestalt der Nachbargebäude, einmal auch als Riesenrad. Dann wirkt es, als blicke man von einem seltsam unwirklichen Innen auf ein reales Außen. Das Ensemble aus Bauresten grenzt sich von der anderen Welt ab und bildet eine eigene Sphäre. Trotzdem stehen beide Bereiche in einer Beziehung zueinander. Die Fotografin spielt mit ihrer Gegensätzlichkeit und verstärkt so den Eindruck des Irrealen. Gegenüber den gepflegten und eindeutig als Gebäude identifizierbaren Bauten der Außenwelt ist das eigenartige Ensemble der Palastreste merkwürdig bestimmungslos.

Auch wenn die Aufnahmen als Sinnbild für den Zerfall des DDR-Regimes lesbar sind, scheinen sie sich kaum mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Aufnahmen vermitteln durch verschiedene Aspekte eine gewisse Gegenwärtigkeit. Zum Beispiel durch die beschriebene Prozesshaftigkeit und dadurch, dass an den Bauresten keine Spuren eines zeitlichen Zerfalls zu sehen sind. Sie sind nicht vergilbt oder verwittert, der Beton zeigt gewissermaßen die frischen Wunden der maschinellen Demontage. Durch die intensiven Farben bekommen die Gebilde eine materielle Aktualität. Aber auch der Dialog mit den modernen Nachbarbauten legt eine Auseinandersetzung mit dem Gegenwärtigen näher als mit der Vergangenheit. Einige Aufnahmen zeigen das Gerüst des Palastes als Spiegelung in benachbarten Fensterscheiben. Da entsteht unweigerlich der Gedanke, dass sich statt seiner genau dort bald die umstrittene Fassade des neuen Stadtschlosses spiegeln wird.

Sowohl der vergangene als auch der kommende Palast repräsentieren ein politisches System. Die Bilder dagegen zeigen einen bestimmungslosen Zwischenzustand, einen nicht definierbaren Ort inmitten eines Lebensraumes. So werfen sie Fragen auf nach dem Prozesshaften der Geschichte und nach deren Manifestationen in der städtischen Lebenswelt. Große Fragen, die wahrscheinlich mehr Zeit in Anspruch nehmen als eine Espressolänge. Aber irgendwie stehen die Aufnahmen ja auch einfach nur für Erneuerung, deshalb sind sie in einer Espressolounge genau am rechten Platz.

CILLI POGODDA

Bis 30. 4. „Der Palast in der Lounge“. Fotografien von Ingrid Steinmeister, „espressolounge“, Bergmannstr. 92