Ein Westfale in Berlin

Josef Paul Kleihues, der Architekt des „poetischen Rationalismus“, ist tot. Er bestimmte die postmoderne Szene und war der wichtigste Baumeister in NRW nach Johann Konrad Schlaun

VON CORD MACHENS

Vielen gilt Josef Paul Kleihues als Berliner Architekt, dort hat er am intensivsten gewirkt und am meisten gebaut. Doch Kleihues ist Westfale, wurde 1933 in Rheine geboren, besaß Haus und Büro in Dülmen-Rorup und lehrte zwanzig Jahre an der Technischen Universität in Dortmund. Kleihues starb am Freitag, den 13.

Er hat in Stuttgart, Berlin und Paris studiert, wurde 1973 als Professor für Entwerfen und Architekturtheorie nach Dortmund berufen. Harald Deilmann, Architekt aus Münster, und Stephan Polonyi, Tragwerksplaner aus Köln, hatten 1971 das „Dortmunder Modell Bauwesen“ gegründet, an dem Architekten und Ingenieure gemeinsam ausgebildet werden, damit aus beiden wieder Baumeister werden ohne die Dominanz von Kunst über Konstruktion. Dieser rationale Ansatz war der Impetus von Kleihues, der sich aber auch „poetische“ Freiheiten erlaubte. Die zeigten sich, als er 1975 die noch kaum bekannte postmoderne Avantgarde zu den „Dortmunder Architekturtagen“ rief. Divergierende wie Aldo Rossi, James Stirling, Hans Hollein fanden sich zu Ausstellungen und Diskussion. Prickelnde Aktivitäten und strenge Lehre brachten der Dortmunder Architekturabteilung weltweite Reputation.

Ein Architekturlehrer muss bauen. Von Erweiterungen am Kloster Gerleve bei Billerbeck bis zum Museum of Contemporary Art in Chicago reicht die Spannweite. Legendär wurde Früheres. Die Hauptwerkstatt der Berliner Stadtreinigung (1969) ist ein würdevoller Zweckbau (1). Das Stakkato von Toren und Treppenhäusern wird klassisch ins Halbrund gezogen. 1971 baute Kleihues im Wedding einen fünfgeschossigen Wohnblock mit Eckdurchgängen (2). Die Zwanziger Jahre hatten mit Zeilenbau städtischen Raum aufgegeben, nun war er wieder im Spiel. Das Klinikum Neukölln (1972) verbirgt hinter der japanisch heiteren Fassade eine anmutige Halle mit fast römischen Bodenmuster und Gemälden von Markus Lüpertz, den Kleihues früh gefördert hat.

Nach diesen Lehrstücken in Struktur, Städtebau und Innenraum war es konsequent, dass Kleihues 1979 Planungsdirektor der „Internationalen Bauausstellung Berlin (IBA)“ wurde und bis 1987 vor allem die Südliche Friedrichsstadt „kritisch rekonstruierte“. Aus internationalen Wettbewerben gingen Bauten hervor, die Berlin zur Architekturmetropole machten. Souverän ließ der Moderator nicht nur alte Mitstreiter wie Ungers und Rossi zum Zuge kommen, sondern auch „Neue Wilde“ wie Zaha Hadid und Rem Koolhaas. Es mag sein größter Verdienst sein, dass er Daniel Libeskinds Entwurf für das Jüdische Museum den 1. Preis gab und die ergreifende Architektur durchsetzte.

Nach der Wende wurden die Ziele der IBA auf die Stadtmitte ausgedehnt. Mit etlichen Geschäftsbauten schloss Kleihues alte Wunden. Man hat ihm das rigide Einhalten alter Traufhöhen als dogmatisch vorgehalten. Aber jetzt zeigt sich in Berlin, dass Zurückhaltung im Großen und Ganzen erst spektakuläre Einzelstücke zur Wirkung kommen lässt. Auch dafür hat Kleihues ein Exempel geliefert, das kleine Hochhaus am Kantdreieck. Der Sockel ist dunkel verkleidet und trägt hellere Geschosse, denen ein Tragwerk filigran vorgelegt ist. Als Bekrönung überrascht ein großes dreieckiges Metallsegel (3).

So hat sich der ernsthafte Westfale im quirligen Berlin das „ship-shape“ geleistet, als Aufheiterung seines „tektonischen“ Bemühens, dem immer neuen Formulieren des originären Architekturthemas: „Lasten und Tragen“. Das verbindet Josef Paul Kleihues mit seinen Vorbildern Schinkel und Mies van der Rohe, denen er, wie kaum ein Zeitgenosse, nahe gekommen ist.