„Was ist mit muslimischen Bärten?“

Kopftuch am Lehrerpult? Noch hat die Bremer SPD keine feste Position bezogen. Bei einer öffentlichen Diskussion am vergangenen Donnerstag meldete sich die Basis zu Wort – mal kochend emotional, mal kühl vernünftelnd

Bremen taz ■ Vier Frauen zeigen Flagge. Weiß, rosa und im Flower-Power-Look bedruckt sind ihre eng umgebundenen Kopftücher, als wollten sie demonstrieren: Dieses Stück Stoff tut keinem was zu leide. Aber weit gefehlt: „Ich sage: Die Frauen, die hier sitzen, tragen ihr Kopftuch nicht freiwillig“, verkündet lauthals ein Genosse. Er habe in der Türkei und arabischen Ländern gearbeitet und verstehe sich daher als „Spezialist“ für islamische Kultur.

Die Diskussion über das Kopftuchverbot an Schulen, zu der die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer JuristInnen am Donnerstagabend eingeladen hat, verläuft erwartungsgemäß hitzig. Rund siebzig BremerInnen sind im Kultursaal der Arbeitnehmerkammer zusammengekommen – von der betroffenen Lehrerin bis zum evangelischen Pastor, vom Religionswissenschaftler bis zur Feministin.

Öffentliche Diskussionen wie diese seien „für die Meinungsbildung in der Partei wichtig“, so Richter Klaus-Dieter Schromek, der die Veranstaltung organisierte. Noch hat die Bremer SPD, was das Kopftuchverbot an Schulen betrifft, keine feste Position. Das so genannte „Kompromisspapier“, auf das sich Bürgermeister Henning Scherf und Bildungssenator Willi Lemke vor einer Woche geeinigt haben, sieht ein generelles Verbot religiöser Symbole in der Schule vor – Ausnahmen können in Einzelfällen durch die Schulverwaltung genehmigt werden. Über den Entwurf wird der Parteitag am 4. September beraten und den künftigen SPD-Kurs festlegen.

Noch gehen die Meinungen innerhalb der Partei weit auseinander. Hermann Kleen, innenpolitischer Sprecher der SPD, findet: hinter dem Kopftuchstreit verberge sich eine „Stellvertreterdebatte für oder gegen Islam“. Diese dürfe nicht nur auf dem Rücken der Frauen ausgetragen werden. Daher seine Frage: „Was ist mit muslimischen Bärten?“ Dagmar Lill, Integrationsbeauftragte, sieht das Kopftuch nicht als politisches Symbol. „Das Kopftuch ermöglicht es vielen Mädchen überhaupt erst, patriarchalischen Strukturen zu entkommen und eine Ausbildung zu machen.“ Ein Verbot fördere nur das Entstehen einer muslimischen Parallelgesellschaft.

„Dagmar, da gehn mir die Schuhe auf“, ereifert sich eine Dame in der ersten Reihe. Wer die politische Seite des Kopftuchs leugne, habe „überhaupt keine Ahnung“. Sie zählt Beispiele auf, in denen Frauen mit dem Kopftuch politisch zum Schweigen gebracht werden. „Das sind Einzelfälle“ unterbricht sie ein indischer Muslim, „Lassen Sie mich ausreden!“ keift sie zurück, einige Stimmen raunen „typisch Männer“, „Chauvinist“.

Um einmal von der „fundamentalistischen Argumentation abzukommen“ bringt eine Lehrerin ganz praktische Einwände gegen das Kopftuch: „Wir wollen eine neutrale, angemessene Kleidung. Ich kann in bestimmter Kleidung keinen Sport machen oder ins Freibad gehen. Auch das gehört zum Schulalltag.“ Weiter berichtet sie von einem Mädchen aus ihrer Klasse, deren Eltern im Iran von Islamisten verfolgt werden. Spannungen mit kopftuchtragenden Schülerinnen seien vorprogrammiert – „wenn die Lehrerin dann auch ein Kopftuch trägt, welchen Eindruck macht das auf sie?“

Günter Pottschmidt, Präsident des Oberverwaltungsgerichts, pflichtet ihr bei: „Was auch immer das Kopftuch subjektiv bedeutet, die Frau muss sich im klaren sein, dass es zugleich auch andere Werte in die Gesellschaft trägt.“ „Das Kopftuch hat doch mit Fundamentalismus so wenig zu tun, wie FKK mit Freiheit“, wettert dagegen eine Bremerin.

Rolf Struckmaier ist Leiter einer Grundschule, an der 85 Prozent Migrantenkinder unterrichtet werden. Über zehn Religionen seien vertreten. „Toleranz zwischen solchen Schülern funktioniert nur, wenn die Schule selbst als neutrales Bindeglied erscheint.“ Als Repräsentanten sollten die Lehrer daher ihre persönliche Weltanschauung zurücknehmen. Die ‚neutrale Schule‘ hält eine Kopftuchträgerin allerdings für Etikettenschwindel: „Ich bin mit Adventsfeier, Weihnachtsfeier, Osterbasteln aufgewachsen. Ich habe kein Problem damit.“ Ein Verbot von religiösen Symbolen würde den Schulalltag ärmer machen, findet auch ein evangelischer Religionslehrer.

Dennoch: Etwa zwei Drittel der Anwesenden sind für eine strikte Trennung von Religion und staatlicher Institution. Jeder Mensch habe das Recht auf Religionsfreiheit, und daher habe grundsätzlich jeder Schüler das Recht, frei von Religion unterrichtet zu werden. Rückenwind also für die Kompromisslösung von Scherf und Lemke? Schromek: „Ich kann mir gut vorstellen, dass es dabei bleiben wird.“ Sibylle Schmidt