Die im Freien schwimmt

„Wer am wenigsten stirbt, gewinnt“: Anne Poleska holt die erste Einzelmedaille für die deutschen Schwimmer. Ihr Erfolgsrezept: amerikanische Tugenden, Lockerheit und Selbstsicherheit

AUS ATHEN ANDREAS MORBACH

Die dreieinhalb Jahre in den Vereinigten Staaten sind nicht spurlos an Anne Poleska vorübergezogen. Das sieht man, das hört man, das spürt man. Auf dem Gesicht der 24-Jährigen liegt schon ein Hauch von dem bei Amerikanerinnen üblichen Cheerleader-Lächeln. Amerikanisch klingt es, wenn ihr ein „gemütlig“ rausrutscht oder wenn sie über ihren Coach Michael Loberg spricht und sagt: „Das ist ein ganz, ganz lockerer Typ.“ Vor allem eines hat der Typ der Brustschwimmerin in dem Jahr vermittelt, in dem er sie in Coral Springs trainiert hat: Selbstsicherheit.

Im Gegensatz zu den gestrandeten DSV-Größen van Almsick und Stockbauer war bei Anne Poleska der Glaube an sich selbst zu greifen, als sie am Donnerstag Abend im olympischen Aquatic Centre vor dem Finale über 200 m Brust ihre Dehnübungen machte. Am Morgen danach hockt Anne Poleska im Deutschen Haus und erzählt. Von der Nacht, in der sie nur drei Stunden geschlafen hat, und wie sie im Morgengrauen „ein bisschen zerknittert“ aufgewacht sei. Ein kurzer Blick durchs Zimmer glättete die Falten dann aber. „Der Badeanzug war noch nass, die Medaille noch da – also alles gut.“

Anne Poleska ist erst zum abschließenden Trainingslager zum Team gestoßen. Jetzt ist sie unter den deutschen Schwimmern die Einzige, die bis dahin eine Einzelmedaille gewonnen hat – und der Gedanke kommt auf, dass die Vorbereitung fernab der Heimat womöglich hilfreich für ihren Coup war. „Ich habe ich einen klitzeklitzekleinen Vorteil dadurch, dass ich in Amerika immer draußen trainiere“, sagt sie – und: „Egal ob bei Regen oder Sturm.“

Auf die Frage, was Loberg denn so fürchterlich anders macht als etwa der Kollege an ihrem Studienort in Alabama, bei dem sie vor ihrem Wechsel im September 2003 lange Zeit trainiert hat, antwortet Anne Poleska eher schwammig. „Ein sehr positiver Typ“ sei der Starcoach halt. Wie sie stammt Loberg aus Krefeld. Und er baute sie auf, als sie dachte: „So komme ich sicher nicht nach Olympia.“ Jetzt ist sie in Athen und hat sogar eine Medaille geholt. Weil sie leidensfähiger war als etwa die Chinesin Hui Qi, die bei der letzten Wende noch eine Sekunde vor Poleska, am Ende jedoch eine halbe Sekunde hinter der Deutschen lag.

„Es ging nur um die letzten 50 Meter“, betont Anne Poleska. „Wer da am wenigsten stirbt, gewinnt.“ Das heißt: wird Dritte, fünf Hundertstel vor der Japanerin Tanaka. Siegerin Amanda Beard aus den USA und die Australierin Leisel Jones schwammen in einer eigenen Liga. Der Wille, sich diese Medaille zu holen, war Anne Poleska vor dem Start bei jeder Bewegung anzumerken. „Ein bisschen nervös war ich schon“, sagt sie. „Aber größer war meine Vorfreude auf ein gutes Rennen. Ich wusste, dass ich mehr draufhabe, als ich im Halbfinale gezeigt hatte.“

Also schwamm sie deutschen Rekord – und durfte als Außenstehende ihren Beitrag zu dem viel diskutierten Höhentrainingslager des DSV leisten. „Es ist sehr, sehr schwierig, so etwas perfekt hinzukriegen“, äußert die Business-Studentin dabei dezente Zweifel. „Aber wenn man darauf schwört, muss man das Risiko einfach gehen.“

Das Risiko einer Franziska van Almsick, die sich ganz offiziell zu ihrer Athener Gold-Mission bekannte, wird Anne Poleska aber wohl nicht eingehen. Denn bei dem Gedanken an Peking 2008 wird ihr schon mit der noch feuchten Bronzemedaille in der Tasche übel. „Nach gestern“, erklärt sie, „müsste ich eigentlich ‚Ja klar‘ sagen. Aber so eine Olympia-Qualifikation wie die im Juni in Berlin macht überhaupt keinen Spaß. Ich weiß nicht, ob ich mir das noch einmal antue.“