beim zeus
: „Das ist ein trauriger Tag“

FRANK KETTERER über die hohe Kunst des Medaillenverhinderns, exemplarisch am Beispiel der deutschen Radfahrer

Das finale Duell geriet zum Kampf der Giganten, und entsprechend schnell wurde es auch ausgetragen: Nur 4:16,304 Minuten benötigte der Brite Bradley Wiggins für die 4.000 Meter auf dem olympischen Holzoval, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von sagenhaften 56,183 km/h entsprach und ihn vor dem Australier Brad McGee zum neuen Olympiasieger machte. Vom alten Olympiasieger, dem von Sydney, war da schon lange nichts mehr zu sehen im olympischen Velodrom, wie auch? Robert Bartko hatte sich bereits am Abend des Vortags vom Radeln um die Medaillen verabschiedet, im Prinzip sogar schon vorher, in der Qualifikation am Nachmittag. Lediglich als Sechstbester hatte der Potsdamer, in Sydney noch Champion im Einer sowie im Vierer, diese erste Prüfung bestanden, was ihm den direkten Vergleich mit Brad McGee eingebrockt hatte – und damit das frühe Aus. Christian Lademann, der zweite deutsche Starter, hatte besagte Qualifikationsrunde erst gar nicht überstanden. Robert Bartko hatte also vollkommen Recht, als er feststellte: „Das ist ein trauriger Tag.“

Und er wird noch viel trauriger, wenn man sich daran erinnert, dass der beste deutsche Einer-Verfolger gar nicht starten durfte hier in Athen: Daniel Becke war bei der nationalen Olympiasichtung Mitte Februar in Frankfurt (Oder) deutlich schneller als Bartko gewesen, eine Chance, sich für Athen zu qualifizieren, erhielt er vom Bund Deutscher Radfahrer (BDR) hingegen nie. Der Erfurter gilt dem BDR, so wie der Leipziger Jens Lehmann, Sydney-Olympiasieger auch er, als Rebell, seit er bei der WM 2003 im eigenen Land die unsauberen Nominierungskriterien des Verbandes kritisiert hatte. Damals hatte Burkhard Bremer, der BDR-Sportdirektor, zunächst willkürlich Lehmann durch Bartko in der Einerverfolgung ersetzt, obwohl der die Nominierungskriterien gar nicht erfüllt hatte; später wollte der für seine Alleingänge bekannte Sportdirektor das gleiche üble Spielchen beim Vierer wiederholen. Nur dass sich Lehmann und Becke diesmal zur Wehr setzten – und androhten, nicht mit Bartko und Guido Fulst, mit denen sie in Sydney Gold gewonnen hatten, fahren zu wollen. Die Folge: Der BDR, namentlich Burkhard Bremer, sagte den Start des Vierers gänzlich ab, Lehmann und Becke wurden als vermeintliche Rebellen erst vom BDR gesperrt, später, auch aus rechtlichen Gründen und der Angst vor Schadenersatzforderungen, begnadigt– und doch stets geschnitten. Die Chance, sich für Olympia qualifizieren zu können, wurde ihnen vom BDR jedenfalls stets verwehrt. „Der Verband hat mich um meine Olympiachance gebracht“, sagt Jens Lehmann, Daniel Becke möchte zu dem Fall gar nichts mehr sagen, beide kommunizieren mit dem BDR nur noch über ihre Anwälte. Derweil festzuhalten bleibt, dass, dem Verband sei Dank, zwei der drei besten deutschen Bahnradfahrer hier in Athen erst gar nicht mit von der Partie sind.

Die Sache ist also längst ein Skandal, der hier nur seine letzte Entwicklungsstufe erreicht. Und in dessen Mittelpunkt stand von Anbeginn Burkhard Bremer. Der Sportdirektor hat es nicht nur versäumt, die Gräben, die sich da zwischen Verband und Athleten (auch untereinander) aufgetan haben, wieder zuzuschütten, wie es von Amts wegen seine Aufgabe gewesen wäre, sondern er hat sie mit seinem unversöhnlichen Verhalten noch tiefer gebuddelt. Und ein bisschen erscheint es so, als habe Bremer hier eine ganz eigene Disziplin erfunden, eigens für Funktionäre wie sich: Derzeit führt Bremer den Medaillenspiegel im Medaillenverhindern ziemlich souverän an, schon zwei Plaketten hat er gewonnen. Die, die Daniel Becke nicht gewinnen konnte, weil er von Bremer ausgebootet wurde; und jene, die Petra Roßner entging. Auch bei der Nichtnominierung der Leipziger Straßenfahrerin hatte der Sportdirektor seine Finger im Spiel, in diesem Fall soll er sich sogar über den Entscheid von Bundestrainer Jochen Dornbusch hinweggesetzt haben, der Roßner gerne mitgenommen hätte zu Olympia.

Wie solch willkürliches Funktionärsverhalten bei den Sportlern ankommt, hat stellvertretend Judith Arndt gezeigt: Zunächst gewann sie Silber im Straßenrennen, dann zeigte sie dem Sportdirektor den ausgestreckten Mittelfinger, weil es ihrer Meinung nach Gold statt Silber hätte sein können – wenn Roßner nur dabei gewesen wäre.

Von solchen Kleinigkeiten zeigt sich Bremer bisher freilich unbeeindruckt, schließlich will er weiter Medaillen hamstern in seiner Spezialdisziplin. Heute könnte es so weit sein, wieder geht Bremer als haushoher Favorit ins Rennen, diesmal mit dem deutschen Vierer. Der hat in der Besetzung Becke, Lehmann, Bartko und Fulst in Sydney Gold gewonnen – und das in Weltrekordzeit. Hier in Athen muss er aus mittlerweile hinlänglich bekannten Gründen und Bremer sei Dank freilich ohne Becke und Lehmann auskommen, an ihrer statt fahren die deutlich langsameren Christian Lademann und Leif Lampater. Bei der WM kürzlich in Melbourne reichte das zu Rang sieben, gestern in der Qualifikation fuhr das Quartett die viertbeste Zeit. Dafür gibt es bekanntermaßen keine Medaille. Im Medaillenspiegel der Medaillenverhinderer freilich wird eine solche Leistung mit Gold belohnt.