Anklage: Auslöschung

Nach dem Haftbefehl Den Haags gegen Sudans Präsident ist als Nächstes der UN-Sicherheitsrat am Zug

VON DOMINIC JOHNSON

Omar Hassan al-Bashir soll vor Gericht. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat am gestrigen Mittwoch Haftbefehl gegen Sudans Präsident wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der westsudanesischen Region Darfur erlassen. Er gab damit in weiten Teilen einem Antrag des Chefanklägers Luis Moreno-Ocampo vom vergangenen Juli statt. Mit einer wichtigen Ausnahme: Der Anklagepunkt des Völkermordes wird fallen gelassen.

Es gebe keine ausreichenden Beweise dafür, dass Sudans Regierung bei ihrem Krieg gegen Rebellen in Darfur eine „spezifische Intention zur kompletten und teilweisen Zerstörung der Volksgruppen der Fur, Massalit und Zaghawa“ gehegt habe, so Gerichtssprecherin Laurence Blairon bei der Verlesung des Beschlusses der Ersten Strafkammer. Dieser Vorwurf, der die juristische Definition von Völkermord darstellt, war aber das zentrale Element der Anklageschrift Moreno-Ocampos vom 14. Juli 2008 gewesen. Von zehn Anklagepunkten hält das Gericht jetzt noch sieben aufrecht – die aber haben es in sich: Mord, Auslöschung, Zwangsumsiedlung, Folter, Vergewaltigung, Angriffe auf die Zivilbevölkerung und Plünderung. Bashir werde beschuldigt, „Angriffe gegen einen erheblichen Teil der Zivilbevölkerung von Sudan bewusst angeführt zu haben“, heißt es. Und, für ein mögliches Verfahren vermutlich am wichtigsten: „Er kontrollierte alle Zweige des Staatsapparates im Sudan.“ Damit widersprechen die Richter Mutmaßungen, wonach Kriegsverbrechen womöglich von unabhängig agierenden Sicherheitskräften oder Milizen begangen wurden. Bashir, so nun Den Haag, sei „als indirekter Täter strafrechtlich verantwortlich“. Auch sein Status als Präsident gewähre ihm keine Immunität.

Mit dem Haftbefehl gegen Bashir betritt der Internationale Strafgerichtshof juristisches Neuland. Bisher ist er nur gegen solche Personen vorgegangen, die auch schon von der eigenen Regierung der ihnen zu Last gelegten Verbrechen verantwortlich gemacht wurden und deren Regierungen den Gerichtshof anerkennen: Kriegsführer aus der Demokratischen Republik Kongo oder Uganda. Sudan hingegen arbeitet mit Den Haag nicht zusammen – die zwei bestehenden Haftbefehle des Strafgerichtshofs wegen des Krieges in Darfur, gegen Minister Ahmed Haroun und den einstigen Milizenführer Ali Kushayb, wurden bis heute nicht vollstreckt.

Über eigene Zwangsmittel zur Vollstreckung von Haftbefehlen verfügt der Strafgerichtshof nicht. Die Möglichkeit, dass beispielsweise Darfurs Rebellen oder die UN-Blauhelme im Sudan jetzt Bashir festnehmen, wies der Gerichtshof indirekt zurück: „Nur Staaten haben die Macht und die Befugnis, Verdächtige festzunehmen und zu übergeben.“ Das wird aber wohl niemand tun. Keine Regierung rief gestern zur Vollstreckung des Haftbefehls auf. In Deutschland beschränkte sich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier auf die Aussage: „Wir nehmen die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs mit Respekt zur Kenntnis“ – die kühlstmögliche Reaktion.

So kann Den Haag als Nächstes höchstens die Nichtkooperation Khartums feststellen und darüber dem UN-Sicherheitsrat Bericht erstatten; dieser muss dann über mögliche Zwangsmaßnahmen entscheiden. Da die Darfur-Ermittlungen nur durch ein Votum des UN-Sicherheitsrates überhaupt erst möglich wurden, hat der Sicherheitsrat aber auch die Kompetenz, das Verfahren zu suspendieren. Nicht vor Gericht in Den Haag, sondern bei der UN-Zentrale in New York wird nun also die Aufarbeitung des Krieges in Darfur fortgesetzt.