„Der Inhalt will irgendwie“

Das Betriebssystem Kunst lässt die Assoziationsmaschine wieder rotieren: Die Kestnergesellschaft Hannover zeigt aktuelle Arbeiten des Schweizer Künstlerduos Peter Fischli und David Weiss

Der Künstler als Illusionist – und der Sinn nur eine Frage der Lichtmenge

Aus Hannover Kerstin Fritzsche

Für Peter Fischli und David Weiss gibt es nichts Banales. Das Züricher Künstlerduo untersucht seit fast 25 Jahren mit leiser Ironie die Mechanismen des Alltags und begibt sich dabei ständig auf den schmalen Grat, der das vermeintlich Triviale vom hochgradig Intellektuellen trennt. Die Unsicherheit unseres täglichen Lebens und dessen Wahrnehmung spiegelt sich wieder in den vielfältigen Arbeiten aus den Bereichen Video, Installation, Objekt und Fotografie.

Das Werk von Fischli/Weiss hat auch den Kunstbetrieb verunsichert und ihn als ein nach formalen Kriterien funktionierendes Betriebssystem entlarvt. Man erinnere sich an die aus Polyrethan gefertigten, aber täuschend echt aussehenden Alltagsszenarien – wie etwa der „Raum unter der Treppe“ im Museum für Moderne Kunst Frankfurt. Über 20 Jahre Wahrnehmungsschule Fischli/Weiss: Und nichts ist mehr sicher - was Wahrnehmung überhaupt ist, wie Erinnerung funktioniert, wo die Grenzen zwischen Trivialität und hoher Kunst verschwimmen.

Natürlich ist das bei „unsettled work“, ihrer ersten umfangreichen Einzelausstellung in Hannovers Kestnergesellschaft, wieder so. Jedoch offenbart sich die Ironie hier erst auf den dritten oder gar vierten Blick. Kein Wunder, da bis zu sechs Bildinhalte übereinander projiziert werden.

Fischli/Weiss haben in zwei Räumen zirka 700 Dias in fünf Projektionsserien arrangiert. Sie seien, so Peter Fischli, von den Fotos für die Publikation „Sichtbare Welt“ vor vier Jahren übrig geblieben. In diesem 2.800 Bilder starken Band hatten die Künstler ihre „Reisefotografien“ versammelt und fern von chronologischer Ordnung einen virtuellen Trip um die Welt für den Betrachter ermöglicht. „Wir arbeiten aus emotionalen Entscheidungen heraus, mit einem Interesse an einem bestimmten Klima, einer Atmosphäre“, erklärt David Weiss. „Das kann Jahre später wieder aufbrechen.“ Dann müsse man wieder ran. „Der Inhalt will irgendwie.“ Denn er sei „unerledigt“ – wie der Titel der Arbeit, „unsettled work“, schon andeute.

In den Projektionen will der Inhalt aber ganz schön viel und verlangt dem Betrachter im Spiel mit der Reizüberflutung einiges ab. Man müsse, so Kurator Maik Schlüter, erst die Assoziationsmaschine heiß laufen lassen, um irgendwas zu verstehen.

Zehn Sekunden dauern jeweils die Überblendungen der Bilder, eher zufällig kristallisiert sich da ihr Inhalt heraus. Und hat man einen erhascht, so macht die Reihenfolge der Bilder wieder jeden Sinn kaputt. Ein warmer Sonnenuntergang folgt Nahaufnahmen von Reptilien, aus dem Verkehrsnetz erwächst ein Spinnennetz, erwächst ein Netz von Baugruben und zerstörter Architektur, wieder gebrochen durch Bilder von Totenschädeln und Weihnachtsromantik mit sehnsuchtsvollen Kinderaugen. Bevor man sich von dem vielen Rot, Orange und Dunkelgrün hat einlullen lassen, wird das ernüchternde Bild eines Zahnarztstuhls vor Augen geführt.

Die dunklen, satten Farben sorgen für eine Erinnerungsästhetik, wie sie von alten Postkarten oder Familien-Fotos bekannt ist: ein ständiges Wechselbad zwischen Heimat und Fremde.

„Um genau diese Zerrissenheit geht es“, erklärt Fischli, „um das Fließen, das Auf- und Wegtauchen von Bildern. Sinn wird zur Frage der Lichtmenge.“ Die Künstler werden zu Illusionisten. Da die Wahrnehmung also sehr geschickt durch Überblendungstechnik und herbeiassoziierter Emotionalität ausgetrickst wird, kann man bei „unsettled work“ durchaus von einer fertigen Arbeit sprechen. Auch wenn sie nicht erledigt ist. Das sind nur die ZuschauerInnen.

bis 31. Oktober, Kestnergesellschaft Hannover, Di-So 10-19, Do 10-21 Uhr