beim zeus
: Griechen im Hormonspiegel vorn

FRANK KETTERER über eine in Athen neu vorgestellte olympische Sportart: das medaillenträchtige Warten

Mittlerweile gibt es hier bei Olympia eine neue Disziplin, die für die Zuschauer zwar recht unspektakulär ist, für die teilnehmenden Athleten allerdings von höchster Effektivität. Die Sportler müssen bei der neuen Disziplin nämlich gar nichts tun, rein gar nichts, sondern einfach nur: warten. Wie ertragreich das am Ende sein kann, hat auf nahezu schulbuchmäßige Art und Weise die deutsche Kugelstoßerin Nadine Kleinert vorexerziert. Kleinert hat gestoßen im olympischen Wettkampf, der ja am historischen Ort Olympia stattfand, ist mit Bronze belohnt worden – und dann hat sie einfach gewartet. Erst einen Tag, dann noch einen zweiten – und siehe da, am dritten Tag hatte sich das Warten endlich gelohnt. Ihr Bronze war plötzlich zu Silber geworden, obwohl Kleinert kein Fingerchen mehr gekrümmt hatte.

Nun handelt es sich bei der neuen Disziplin des Wartens keinesfalls um eine Wandlung nach biblischem Vorbild (Wasser zu Wein), sondern schon eher um das Ergebnis all der Betrügereien, die hier in Athen so abgehen. Das Warten für Frau Kleinert hat sich jedenfalls nur gelohnt, weil bei der Russin Irina Korschanenko, am heiligen Ort Beste mit 21,06 Metern, anschließend das Steroid Stanozolol im Körper aufgespürt wurde. Was den Fall besonders dreist erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass Korschanenko schon einmal wegen des gleichen Tatbestands gesperrt war, zwischen 1999 und 2001. Damals, bei der Hallen-WM, hatte sich auch die Russin im zu jener Zeit noch nicht olympischen Warten geübt, allerdings mit weit weniger Erfolg als nun Nadine Kleinert: Zwar wurde auch Korschanenkos Medaille erst von Silber in Gold gewandelt, weil die Beste, die Ukrainerin Wita Pawlitsch, des Betrugs überführt werden konnte, aber Freude löste das bei der Russin nur kurzzeitig aus. Dann wurde sie, wie jetzt auch in Athen, nämlich selbst erwischt – und es zerrann, was sie zuvor gewann. Womit, das nur nebenbei, der Beweis erbracht ist, dass DLV-Präsident Clemens Prokop sich nun ziemlich unnötig über ihren neuesten Sündenfall („Es wäre eine riesige Schweinerei und ein besonders verabscheuungswürdiges Vergehen, wenn sie mit unerlaubten Mitteln in den heiligen Hallen Olympias angetreten ist“) echauffiert hat: Wer Kugelstoßern in Olympia Einlass gewährt, muss mit derlei rechnen.

Aber zurück zum Warten, in dem auch Venezuela mittlerweile einen Medaillengewinner vorzuweisen hat. José Israel Rulio war zunächst Vierter im Gewichtheben bis 62 Kilo, wartete ein wenig – und wurde Dritter. Zu verdanken hat er das dem Griechen Leonidas Sampanis, der mit doppelt so viel Testosteron im kleinen Körper aufgefunden wurde wie von der Dopingpolizei erlaubt. Zwar schwor Sampanis anschließend „vor Gott und meinen Kindern“, dass er „noch nie in meiner zehnjährigen Karriere verbotene Substanzen genommen“ habe, aber das muss nicht wirklich etwas heißen.

Was schon die Tatsache beweist, dass einen ähnlichen Schwur auch Kostas Kenteris von sich gegeben hat – und an dessen Sündenfall zweifeln mittlerweile nicht mal mehr die Griechen. Vielmehr gehen knapp 60 Prozent, das hat eine Umfrage ergeben, davon aus, dass ihr Volksheld tatsächlich gedopt war. Zumal ja täglich neue und widerlichere Details ans Tageslicht kommen. So wurde unter anderem bekannt, dass Christos Tzekos, der Trainer von Kenteris und der ebenfalls erwischten Ekaterini Thanou, zu Hause 1.400 Packungen verbotene Mittel lagerte, zum Eigengebrauch werden die kaum gedacht gewesen sein. Noch schlimmer aber ist, was die Zeitung To Wima enthüllt hat: Tzekos soll schon vor sieben Jahren der griechischen Regierung ein 6 Millionen Euro teures Dopingprogramm vorgeschlagen haben, um Hellas Athleten für Olympia 2004 rechtzeitig Beine zu machen. 150 von ihnen wollte er, so sah es der Plan vor, unter seine Fittiche nehmen, um ihnen „Zusatzsubstanzen zu verabreichen, die nicht aufgespürt werden können“. Die griechische Regierung lehnte ab, Tzekos widmete sich Kenteris und Thanou. Der Rest ist bekannt.

Im Olympialand haben solcherlei Enthüllungen mittlerweile für einige Ernüchterung gesorgt. „Untergang der Idole“, titelte beispielsweise die Zeitung Kathimerini und folgert: „Doping ist zum Nationalsport der Griechen geworden.“ Wenn dem so ist, dann muss man feststellen, dass die Griechen in ihrem Nationalsport wirklich sehr gut sind, wie die Kollegen von Spiegel online dankenswerterweise ermittelt haben. Die führen auf ihren Seiten im Internet nicht nur einen Medaillen-, sondern auch einen Hormonspiegel. Und den führt Griechenland mit fünf Dopingfällen an, gefolgt von Spanien, Russland, der Türkei, Indien (je 2), Irland, den USA, der Schweiz, Kenia, Myanmar, Marokko, Ungarn, Moldawien, Jamaika, der Slowakei, Usbekistan und Kirgisien (je 1). Deutsche Sportler kommen (noch) nicht vor. Man sollte nicht darauf warten, dass sich das ändert.