Wo die Verdrängung hinfällt

Ein Versace-Laden im schmuddeligen St. Pauli? Diese Möglichkeit spielte Filomeno Fusco in einer Installation durch – und erntete dafür Empörung und Drohungen. Dass unweit der Reeperbahn einmal Luxus-Boutiquen eröffnen, damit rechnet er durchaus

Kurz vor Jahresende, am 30. Dezember vergangenen Jahres, widmete sich die große New York Times in einem Artikel der Gentrifizierung von Hamburg-St. Pauli. Erwähnt wurde darin unter anderem, dass der Schmuddel- und Rotlichtstadtteil jetzt sogar eine Dependance des Modelabels Versace beherberge – eigentlich eine Kunstaktion. „Die Leute hier im Viertel wurden richtig wütend“, sagt Filomeno Fusco. „Ich hatte sogar Angst, dass sie mir den Laden abfackeln.“

Einen ganzen Monat lang hatte der Künstler sein Atelier mit einer großen Holzplatte verbarrikadiert. Über der vermeintlichen Baustelle prangte in großen silbernen Buchstaben – Versace. „Ja, das stimmt. Die Bauarbeiter, die aus dem Versace-Laden kamen, wollten wir hier nicht bedienen“, sagt die Frau am Kiosk gegenüber mit einer erkennbaren Portion Stolz. „Es war sogar schon eine Demonstration gegen den Laden geplant“, sagt Fusco. Sein Atelier ist kalt, denn er hat hier noch keine Heizung. Hinein gelangt man durch einen kleinen Tunnel, der durch ein Wohnhaus irgendwo auf St. Pauli führt. Statt in einen Hinterhof aber führt der Gang in eine kleine Lagerhalle, die Fusco zusammen mit einigen anderen zu einem Ausstellungsraum umfunktioniert hat.

Er habe nicht gedacht, dass die Reaktion so heftig ausfallen würde, sagt der 1967 geborene Fusco – dabei waren sie doch Teil des Konzepts: Die Frage lautete „Versace?“, für die Antwort sollten die Holzplatten dienen. Fusco rechnete damit, dass die Bewohner des Viertels ihre Meinung über einen italienischen Nobel-Modeladen auf die Platten schmieren würden.

Und das taten sie: Sie reagierten mit einer an Versace gerichteten Gegenfrage: „Seid ihr gut versichert?“, stand nach einigen Tagen auf den Platten. „Ihr werdet nicht lange verweilen!“, drohte eine andere Inschrift. Und daneben, etwas origineller: „Dönerteller statt Donatella!“ Schließlich prägte dann noch ein Zitat Berthold Brechts die Installation: „Den Haien entrann ich, die Tiger erlegte ich, aufgefressen wurde ich von den Wanzen.“ Die Projektionsfläche für die Reaktionen der Betrachter wurde zur eigentlichen Essenz des Kunstwerks.

Ein Effekt, der in Fuscos Arbeiten immer wieder eine Rolle spielt. Vor zwei Jahren installierte er in der Leipziger Innenstadt einen Automaten vor einem Schaufenster. Wer einen Euro in den Automaten warf, konnte zusehen, wie ein vermeintlicher ALG-II-Empfänger für eine Weile künstlichen Schnee durch die Gegend pustete. Die Reaktionen der Zuschauer wurden gefilmt. Während einige das Ganze als Kunst begriffen, offenbarten andere beträchtliches Verachtungspotential gegen Hartz-IV-Klienten: Da sei dann auch schon mal geschrien worden: „Los, tu was für dein Geld!“ Das Publikum als Teil des Kunstwerks – das funktioniere im öffentlichen Raum besonders gut, sagt Fusco: Dabei „werden die Betrachter nicht auf Personen eingeschränkt, die Museen besuchen“.

Die Deutschland-Zentrale von Versace wurde erst auf die Installation aufmerksam als die schon wieder abgebaut war. „Damit ist die Sache für uns aus der Welt“, sagt eine Sprecherin und beteuert nicht zum ersten Mal: „Wir haben auch nie geplant, eine Dependance auf St. Pauli zu eröffnen.“ Fusco hält eine solche trotzdem für ein realistisches Szenario: „Warum sollte der Verdrängungsprozess vor St. Pauli Halt machen?“ JOHANN TISCHEWSKI