Wer bitte klaut Munch?

Dreiste Kunstraube wie jüngst in Oslo sind eigentlich sinnlos: Berühmte Bilder sind schlicht unverkäuflich

Zuerst, so wird berichtet, brach Panik unter den Besuchern aus: Sie sahen sich bereits als Opfer eines Terroranschlags, als zwei maskierte Männer den Raum stürmten, in dem Edvard Munchs Gemälde „Der Schrei“ und „Madonna“ hingen. Sollte die al-Qaida es jetzt also auf den Kanon abendländischer Kunstgeschichte abgesehen haben?

Man stelle sich vor: parallele Anschläge auf den Louvre, den Prado, die National Gallery in London und das MoMa in New York (oder Berlin) – und jeweils ein oder zwei Hauptwerke als Ziele der Attentäter.

Doch würden Terroristen die Werke nicht eher vernichten als klauen? Oder würden sie zynisch testen, was dem Westen seine Kunst wirklich wert ist? Gäbe es Geld oder gar politische Zugeständnisse, um ein paar Vermeers, Van Eycks, Picassos oder eben Munchs zurückzubekommen?

Auch jetzt wird über Lösegeldforderungen spekuliert. Experten nennen irgendwelche großen Zahlen, um den Wert der Gemälde zu beziffern. Doch scheint zweifelhaft, ob die Entführung von Kunst viel bringen kann. Ein Privatsammler mag ein starkes persönliches Interesse an seinem Besitz haben und würde eventuell gut zahlen, um ein Herzstück auszulösen.

Werke in staatlichen Museen haben jedoch kaum so etwas wie „enge Angehörige“, die unter den Geschehnissen leiden – und die wenigen „echten“ Fans, die ein Bild haben mag, verfügen wohl nicht über das Geld, um seine Freigabe zu erwirken.

Am ehesten muss sich noch die Tourismusbranche Sorgen machen, da die meisten Museumsbesucher nur wegen ein paar Highlights kommen. Dem Rest wäre der Verlust von Gemälden wie denen von Munch schon deshalb ziemlich egal, weil sie ja nicht wirklich verschwunden sind: In Reproduktionen aller Art kann man sie genauso gut sehen wie bisher, und ohnehin besichtigt nur eine kleine Minderheit derer, die die Bilder kennen, sie einmal im Original. Zudem gehört Munch zu den fotogenen Künstlern, bei denen man vor dem Original kaum etwas entdecken kann, was man nicht ebenso auf einer Postkarte sieht.

Überdies haben sich die Diebe Bilder ausgeguckt, die es in mehreren Fassungen gibt. So könnte ein verrückter Sammler, der nach einem spektakulären Raub immer gleich als Drahtzieher vermutet wird, nicht einmal die Genugtuung haben, fortan als einziger Mensch Munchs „Schrei“ im Original anschauen zu können.

Vielleicht waren es also doch nur ziemlich unbedachte Ganoven, die ein Museum für leichter zu knacken hielten als eine Bank und die dann recht spontan zulangten, ja die einfach nach dem griffen, was sie als Erstes wiedererkannten. Pech nur, dass das, was ein solcher Ganove in seinem Bildgedächtnis hat, so viele andere Menschen ebenfalls dort haben: Die Beute wird damit unverkäuflich. WOLFGANG ULLRICH