Befehle von der CIA?

Washington blickt nicht nach Mannheim, sondern wartet auf einen brisanten Untersuchungsbericht zu Abu Ghraib

WASHINGTON taz ■ Die juristische und politische Aufarbeitung des Folterskandals von Abu Ghraib findet in den USA derzeit nur auf den hinteren Zeitungsseiten statt. Sie wird vom Bush-Kerry-Zweikampf um das Weiße Haus und den täglich zunehmenden persönlichen Angriffen der Kontrahenten weit in den Schatten gestellt.

Dies dürfte der Bush-Regierung und dem Pentagon nicht ungelegen kommen, droht doch diese Woche mit der Veröffentlichung des bislang umfangreichsten Untersuchungsberichts über die Vorgänge im berüchtigten irakischen Gefängnis, aber auch anderen US-geführten Haftanstalten im Irak und in Afghanistan, neues Ungemach.

Seit die Misshandlungen im April ans Tageslicht kamen, dreht sich alles um die Kernfrage, inwieweit es sich um Taten Einzelner oder von Offizieren sanktionierte Verhör- und Behandlungsmethoden von Gefangenen handelt. Nach Ansicht von Weißem Haus und Pentagon ist der Skandal die Folge weniger irregeleiteter Missetäter. Deren strafrechtliche Verfolgung wurde daher auch zügig eingeleitet. Sieben US-Soldaten wurden bislang vor amerikanischen Militärgerichten angeklagt, darunter Lynndie England und die vier Soldaten in Mannheim. Der Militärpolizist Jeremy Sivits wurde in Bagdad bereits zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

Die Anwälte der Angeklagten weisen jedoch die Sichtweise der Regierung zurück. Ihre Mandanten hätten lediglich Anweisungen befolgt. Das Argument wird von verschiedenen armeeinternen Untersuchungen und Medienrecherchen gestützt, wonach die Verantwortung in höheren Militärrängen zu suchen ist. So berichtet die Washington Post am Montag über ein Memorandum eines Militärgeheimdienstoffiziers, der im Sommer 2003 „effektive“ Verhörtechniken der Gefangenen in Abu Ghraib nahe legte. „Diese Häftlinge werden nicht mit Samthandschuhen angefasst“, heißt es in dem Papier.

Am vergangenen Samstag berichtete die britische Medizin-Zeitschrift Lancet, dass Ärzte mit dem Geheimdienst in US-geführten Gefängnissen kollaboriert, Misshandlungen nicht gemeldet und falsche Gutachten ausgestellt hätten.

Auch der 9.000-Seiten-Bericht, der diese Woche dem Kongress vorgelegt werden soll, enthält nach Vorabinformationen die brisante Schussfolgerung, dass weit mehr Personen als die bislang angeklagten Soldaten verantwortlich sind. Das Dokument weise nach, dass die Misshandlungen eine Folge mangelhafter Führung, unscharfer Befehle, schlechter Disziplin und völligen Chaos im Gefängnis sei, heißt es.

Die von Generalmajor George Fray geleitete Untersuchung wirft zwei Dutzend Offizieren des Militärgeheimdienstes und der CIA vor, in Misshandlungen verwickelt gewesen zu sein. Fray geht nach Angaben der Washington Post aber nicht so weit zu behaupten, dass sie Soldaten aufgefordert hätten, Häftlinge zu misshandeln. Sie hätten jedoch schwammige Instruktionen über das Maß des Erlaubten bei der „Vorbereitung“ auf Verhöre gegeben und die Misshandlungen toleriert. „Unsere Verhörpolitik wurde völlig fehlinterpretiert und versagte total“, wird ein Pentagon-Mitarbeiter zitiert.

Der Bericht reiht sich ein in mehrere vorangegangene Nachforschungen, die ein Versagen der militärischen Kommandostruktur nachweisen. Trotz der offensichtlichen Fehler wurde bislang kein hochrangiger Offizier oder Pentagonmitarbeiter juristisch oder politisch zur Rechenschaft gezogen. „Die Führungsspitze hat sich bislang völlig aus der Verantwortung gestohlen“, resümiert die Zeitung Cincinnati Enquirer.

MICHAEL STRECK