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Routine des Misserfolgs

Obwohl der FC Bayern mit dem Pokal-Aus in Leverkusen Saisonziel Nummer 1 verfehlt, wollen die Münchner jetzt vor allem: Ruhe bewahren. „Wir müssen die Situation annehmen“, sagt Klinsmann

AUS LEVERKUSEN DANIEL THEWELEIT

Wenigstens in einem bedeutsamen Segment des Profisports macht der FC Bayern derzeit rasante Fortschritte: Niederlagen zu verarbeiten. Nachdem der Titelverteidiger am Mittwochabend im Viertelfinale des DFB-Pokals von grandios aufspielenden Leverkusenern in seine Bestandteile zerlegt worden war und mit 4:2 (0:0) verloren hatte, versammelte Trainer Jürgen Klinsmann seine Mannschaft in der Kabine und bat um einen Moment der Besinnung. „Wir haben uns hingesetzt und gesagt, dass wir Ruhe bewahren und diese Situation annehmen müssen“, berichtete Klinsmann später – es war die einzige Trainermaßnahme des Abends, die Früchte trug. Diesmal verzichteten die Spieler auf öffentliche Kritik an der Aufstellung oder an taktischen Variationen. Eine gewisse Routine des Misserfolges stellt sich ein.

Selbst Uli Hoeneß war gefasster als nach den Niederlagen im Februar. „Das ist jetzt der erste richtige Rückschlag“, stellte der Münchner Manager nüchtern fest, „die anderen Dinge sind ja alle noch reparabel“. Eigentlich wäre diese Erkenntnis Anlass für besonders heftige Kritik, doch nur der Schweißfilm auf seiner Stirn verriet, dass es im Inneren des Managers gärte. „Es macht ja keinen Sinn, sich hier vor Millionen Leuten zu profilieren, alles besser wissen, das können viele, alles besser machen, das wollen wir“, sagte Hoeneß. Die Bayern haben erkannt, dass die Münchner Abwärtsspirale nicht über autoritäre Maßnahmen oder öffentliche Schuldzuweisungen gebremst werden kann, vielmehr tritt immer deutlicher zutage, wie vielschichtig und komplex die Probleme des Meisters sind.

Nach wie vor sucht die Mannschaft ein ausgewogenes Verhältnis zwischen defensiver Ordnung und offensiven Freiheiten. Nun hat Klinsmann sich überzeugen lassen, grundsätzlich defensiver zu agieren, doch auch das ging schief. „Wir wollten Leverkusen kontrollieren und haben darauf spekuliert, dass die am Ende etwas abbauen“, beschrieb Hoeneß die grandios gescheiterte Strategie. Erst als es in bester Klinsmann-Manier hieß: „Leinen los!“, hat die Mannschaft „plötzlich unglaublich reagiert“ (Hoeneß); da stand es allerdings schon 3:0 für Bayer.

Die fußballtaktische Debatte ist allerdings längst nicht das einzige Problem der Klinsmann-Bayern. Die Brüchigkeit des sozialen Gefüges zeichnet sich zudem ab. Auf dem Platz wird kontrovers diskutiert, nicht selten werden Aktionen mit abfälligen Handbewegungen kommentiert. „Fußball ist einfach ein Kollektivspiel, und wenn das Kollektiv nicht funktioniert, dann kann uns auch kein einzelner Spieler helfen“, sagte Hamit Altintop.

Klinsmann hofft nun vor allem auf die heilende Kraft des Champions-League-Zaubers. Ein Problem sei, dass der FC Bayern im Vorjahr das Double gewonnen habe, sagte Klinsmann, „deshalb haben die Spieler in Pokal und Bundesliga im Hinterkopf, dass das schon irgendwie laufen wird“. In der Champions League sei die Mannschaft hingegen „in allen Spielen imponierend aufgetreten“, diese innere Haltung gelte es nun endlich auf die Bundesliga zu übertragen. Es ist eine vage Hoffnung angesichts der Dimension der Probleme, aber immerhin eine Hoffnung.

Auf eine Wende in der Bundesliga wartet zwar auch Bayer Leverkusen, der strahlende Sieger dieses stimmungsvollen Pokalabends, doch die Aussichten dazu sind ungleich besser. Bruno Labbadia hatte nach der ungewohnten Häufung von Niederlagen befürchtet, dass die Mannschaft „irgendwann den Glauben an sich verliert“, auch in Leverkusen hatte ja gerade eine grundsätzliche Debatte über Dinge an Fahrt aufgenommen, die sich nicht so einfach ändern lassen. Kritiker halten das Team für zu jung, zweifeln an der Charakterstärke der Spieler, „deshalb war dieser Sieg ein Befreiungsschlag für die ganze Mannschaft“, sagte Kapitän Simon Rolfes. Gegen die Leverkusener Fußballkunst vom Mittwochabend gibt es keine Argumente.

Voller robuster Vehemenz hatten sie ihr aggressives Pressingspiel durchgesetzt, um nach Balleroberungen feingliedrig und temporeich nach vorne zu kombinieren.

Die Kulisse in Düsseldorf produzierte immer wieder Geräusche größter Bewunderung, „jeder hat mitgemacht, die Jungs haben extrem zusammengearbeitet“, sagte Labbadia. Vielleicht ist der Klub mit dieser Partie heimisch geworden in seinem Düsseldorfer Exil, und der lange beschwerliche Leverkusener Winter hat in diesem Urknall sein Ende gefunden.

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