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Einweg-Theater am Hansaplatz

Der Hamburger Künstler Thorsten Passfeld baut hinter dem Schauspielhaus das „Hoftheater Vier Linden“. Eine Woche wird gespielt, dann wird wieder alles abgerissen. Auf diesen Augenblick freut sich Passfeld besonders

von Kathleen Fietz

Eine eingezäunte Baustelle hinter dem Schauspielhaus mit Bergen von Holzlatten und Brettern, einem Dixieklo, Gehämmer und Gesäge. Nichts Besonderes. Trotzdem bleiben viele Passanten neugierig stehen, denn keine modernen Eigentumswohnungen oder Büros werden hier am Hansaplatz gebaut, sondern ein Theater aus Holzresten. An Shakespeares Zeiten erinnert dieses „Hoftheater Vier Linden“ mit seinem spitzen Dach, Giebelfenstern und Dachschindeln aus kleinen Spanholzplatten. Vier Monate und eine Menge Rückenschmerzen hat es den Hamburger Künstler Thorsten Passfeld gekostet, das Altholz aus Containern von Baustellen und Abrissfirmen zu sammeln. Auch beim Bauen hilft ihm keiner. „Ich arbeite lieber allein“, sagt der 28-Jährige, der vom Schauspielhaus mit dem Bau dieser Experimentierbühne beauftragt wurde. Er bleibt auch hart, wenn Arbeitslose bei ihm für fünf Euro die Stunde anheuern wollen: „Die erzählen mir ihre Lebensgeschichten, das geht mir schon nah. Aber ich kann hier ja nicht das Hamburger Arbeitslosenproblem lösen.“

Eine Prostituierte aus dem Viertel winkt hinter dem Zaun: „Hey, ich park mein Auto kurz in deiner Ausfahrt. Wenn du raus musst, ruf mich einfach. Ich bin hier in der Straße.“ Die Anwohner St. Georgs kennen ihn inzwischen und ertragen das Sägen, Hämmern und Quietschen beim Schrauben in das nasse Holz geduldig. Seit Juni baut Passfeld jeden Tag von 8 bis 23 Uhr an dem Bühnenhaus. Viertelbewohner bringen Holz oder auch schon mal eine Matratze zum Ausruhen vorbei.

An die ständige Öffentlichkeit musste sich der Künstler erst mal gewöhnen, schließlich ist er extra wegen der Anonymität aus der Kleinstadt Dinslaken am Niederrhein nach Hamburg gezogen. „Wenn ich zu Hause vor meiner Leinwand sitze, kommt ja auch nicht alle naselang einer vorbei und fragt, warum das nun gerade grün aussieht.“ Steht dann ein Zimmermann am Zaun und meint, die Dachschindeln seien Mist und müssten unbedingt neu gemacht werden, ignoriert der gelernte Filmkulissenbauer die Passanten schon gerne mal. Auch von neugierigen Journalisten und Kamerateams zeigt er sich wenig beeindruckt.

Gelernt hat er es zwar nicht, das Häuserbauen, aber geübt hat er bereits bei seiner Diplomarbeit für die Kunsthochschule. Vor zwei Jahren baute er dafür eine Holzhütte hinter dem Mojo-Club an der Reeperbahn. „Die war aber viel niedriger und klaustrophobischer als das hier.“

150 Quadratmeter ist dieses Hoftheater groß und bietet genügend Platz für 100 Zuschauer, die Bühne, eine Bar und ein Kassenhäuschen. Momentan baut er die Innenräume aus und arbeitet an den Verzierungen, die das Ganze ausmachen sollen. Eine kleine Traufe, durch die das Regenwasser an der Seitenwand ablaufen kann, und das Schild über dem Eingang sind schon angebracht. Die Buchstaben der „Vier Linden“ sind aus hellblau bemaltem Holz liebevoll zusammengezimmert.

Dass das Alleinwerkeln trotz Übung ganz schön gefährlich sein kann, zeigt Passfelds verbundene rechte Hand. Ein rostiger Nagel von einer umfallenden Holzlatte hatte sich in sein Handgelenk gebohrt. „Da dachte ich, jetzt muss ich aufhören. Inzwischen geht es aber wieder.“ So mancher Balken fiel in den letzten Wochen nur knapp an seinem Kopf vorbei, und auch für einige Löcher in Schuhen und Füßen sind die Nägel aus dem alten Holz verantwortlich.

Einen Bauplan gibt es nicht, eher nach Gefühl arbeitet der Künstler. Die Baubehörde hat den Bau genehmigt. Nur aus den Logenplätzen im ersten Stock wird nichts, das lassen die Auflagen der Gebäudeverordnung nicht zu. Die Baubehörde zeigte sich kooperativ, da das Theater als Kunstwerk gilt. Mit dem Wort Kunst kann Passfeld jedoch wenig anfangen: „Ich bin ein Dilettant. Ich mache einfach meine Sachen, würde mir aber nie das Wort Kunst auf die Fahne schreiben.“ „Seine Sachen“ sind Bilder, Animationsfilme, Songs für seine Band Heimweg und Kurzgeschichten, die er oft bei Veranstaltungen der jungen Literatenbewegung Macht e. V. vorliest. Dafür hat er im Moment wenig Zeit, denn in zwei Wochen soll sein Hoftheater fertig sein. Im September müssen die Neugierigen nicht mehr vor dem Bauzaun stehen bleiben, sondern dürfen sich das Theater eine Woche lang von innen anschauen. Danach werden hier Regieassistenten des Schauspielhauses sieben Tage lang ihre Stücke vorstellen, so zum Beispiel den Western „Billy the Kid“ oder die „Hänsel und Gretel“-Adaption „Ich bin, was ich bin“. Außerdem sind Gäste wie Rocko Schamoni und Sven Amtsberg geladen.

Den Abschiedsabend wird der Bauherr selbst mit einer Best-Off-Revue seiner Filme, Kurzgeschichten und Publikumspiele gestalten. Das Beste kommt für Passfeld jedoch erst danach: Nach der Veranstaltungswoche wird das Haus wieder eingerissen. „Das gehört zum Konzept und ist das Schönste an der Arbeit.“

9. bis 12.9., ab 18.30 Uhr: Besichtigung; 13.9., 20 Uhr: „Billy the Kid“: ein Western-Abend; 14.9., 19.30 Uhr: Rocko Schamoni liest aus seinem neuen Buch „Dorfpunks“; 15.9., 20 Uhr: „Zwei zuviel“ – Ein Zweigespräch; 16.9., 20 Uhr: „Ich bin, was ich bin“ von Inga Wagner; 16.9., 21.30 Uhr: Lesung „der schischischos“ mit Sven Amtsberg, Alexander Posch und Michael Weins; 17.9., 20 Uhr: „Mal gucken“: Die Zuschauer kommen ins Theater, um durch die Fenster zu beobachten, was in St. Georg passiert; 18.9., 19 Uhr: Die lange Nacht der Theater; 19.9., 20 Uhr: Best of Thorsten Passfeld

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