olympische schildkrötenschützer von ANDREAS SCHÄFLER
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Vor drei Wochen habe ich auf der Insel Zakynthos mit Takis noch Holz gemacht. Er ist Eigentümer der zuverlässigsten Kettensäge im Umkreis von zehn Kilometern und ein prima Kerl obendrein. In den Rauchpausen erörterten wir dies und das über Rehhagel und das griechische Fußballwunder, obwohl Takis gleich zugab, als Sportbanause dem Taumel um die Nationalelf erst nach dem Viertelfinale erlegen zu sein. Das Endspiel hatte er in der Karaoke-Bar „Hot Lips“ gesehen, wo er erstmals mit dem Phänomen des Karaoke und mit der Wirkung des Freigetränks „Sex on the Beach“ konfrontiert worden war. Auf die Olympischen Spiele aber war Takis gar nicht gut zu sprechen. Kein Wunder, denn seinen Saisonjob in der Schildkrötenschützerkolonne am berühmten Lagana-Strand hatte er diesmal nicht antreten können. Die staatlichen Subventionen, etwa die Hälfte des Nationalpark-Jahresetats, waren zugunsten der Athener Sommerspiele einfach gekippt worden.

Mittags verduftete Takis unter fadenscheinigen Andeutungen in die Inselhauptstadt. Er müsse nun unbedingt seinen Gewinn abholen, der Sachbearbeiter bei der Griechischen Landwirtschaftsbank habe ihn schon zweimal angerufen, er, Takis, gehöre zu den Hauptgewinnern eines Preisausschreibens. Ehrlich gesagt kann Takis trotz seiner 35 Jahre noch nicht mal einen Lottoschein allein ausfüllen und seine sporadischen Besuche der Abendschule gelten wohl eher seinem Schwarm: Eleftheria, süße sechzehn.

Am nächsten Vormittag entstieg Takis seinem alten Nissan-Pickup, verdrossener als sonst, und überreichte mir wortlos einen wattierten Umschlag mit zwei Tickets: „Olympisches Bogenschießen, 19. August 2004, ab 8:30 Uhr, Panathinaikos-Stadion zu Athen, Block F, Plätze 6.13 und 6.14“. Takis schaute wie ein überführter Dopingsünder. Ich redete ihm gleich gut zu, der Nissan würde es locker bis Athen schaffen, wo sein Cousin gewiss noch eine Matratze für ihn frei hätte, und das zweite Ticket sei eindeutig für die Frau seines, Takis’, Lebens bestimmt, die er auf der Reise zum Bogenschießen eben noch kennen lernen würde.

Am vergangenen Donnerstag beim Frühstücksfernsehen knipste ich mich in die Eurosport-Übertragung des olympischen Bogenschießens hinein und harrte der Kameraschwenks ins Publikum. Naja, die Ehrenloge war verwaist, dafür sah man ein paar fachkundige Angehörige, einige Zufallskunden der Griechischen Landwirtschaftsbank mochten auch dabei sein. Nach 20 Minuten war ich mit etlichen dieser Individuen schon recht vertraut, als plötzlich ein khakifarbenes Schildkrötenschützer-T-Shirt ins Bild kam. Takis’ Miene war nicht mehr ganz so teilnahmslos wie noch vor drei Wochen. Seine rechte Hand knetete eifrig das Denkerkinn und Augen hatte er fast nur für das Bogenschießen-Finale der Männer. Sein linker Arm jedoch war entschieden und salopp zugleich um die Schultern einer blassen, nicht mehr ganz jungen, aber augenscheinlich vollolympisch begeisterten Frau gelegt. Wir wollen sie, da sie in der Folge dem deutschen Vertreter Frankenberg (Platz 21) auffällig viel Applaus spendete, Helga nennen und ihr und Takis, aber auch allen Schildkröten von Zakynthos ganz fest die Daumen drücken.