Warum Silvio Berlusconi im Wüstenzelt diniert

Italiens Ministerpräsident reist heute zu einem Blitzbesuch nach Libyen. Mit Staatschef Muammar al-Gaddafi will er über die Einrichtung von Flüchtlingslagern in dem nordafrikanischen Mittelmeerstaat verhandeln. Und den Preis dafür

ROM taz ■ Nur ein gemeinsames Abendessen unter Freunden stehe auf dem Programm, und „gar nichts“ wisse man über die anstehenden Gesprächsthemen beim heutigen Visavis zwischen Silvio Berlusconi und Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi. Sehr zugeknöpft zeigt sich die Pressestelle des italienischen Ministerpräsidenten bei Fragen nach den Gründen für Berlusconis Blitzbesuch in Libyen. Nicht einmal der Ort des heutigen Treffens ist bekannt; wahrscheinlich wird das Dinner in Gaddafis Wüstenzelt zelebriert werden.

Doch trotz der Geheimnistuerei muss man über die Tagesordnung der Begegnung nicht lange rätseln. Fast jeden Tag landen in diesem Sommer wieder Boote mit Immigranten an der süditalienischen Insel Lampedusa, jedes mit 100 bis 200 Passagieren an Bord. Und sie alle sind von der libyschen Küste aus in See gestochen. So sehr sich Italiens Regierung befriedigt zeigt, dass es ihr gelungen sei, die Zahl der ankommenden Bootsflüchtlinge um die Hälfte zu drücken, so deutlich wird doch, dass wenigstens die südliche Seegrenze immer noch nicht komplett abgeriegelt ist.

Schon Anfang Juli verhandelte deshalb Italiens Innenminister Giuseppe Pisanu in Tripoli, und Anfang August einigten sich Italiens und Libyens Regierung auf einen Maßnahmenkatalog. In Zukunft soll es gemeinsame libysch-italienische Patrouillen auf See wie an Land geben, werden libysche Polizisten von Italienern ausgebildet werden, können die Geheimdienste beider Länder bei der Bekämpfung der Schleuserbanden kooperieren. Und schließlich soll Libyen die durchreisenden Immigranten in ihre Herkunftsländer zurückexpedieren. Vorbild für diesen Maßnahmenkatalog ist die Zusammenarbeit zwischen Italien und Albanien. Durch diese ist die Zahl der über die Adria ankommenden Flüchtlinge fast auf null gesunken.

Außerdem möchte Berlusconi mit Gaddafi über den Vorschlag des deutschen Innenministers Schily sprechen, Auffanglager in Staaten Nordafrikas und damit auch in Libyen einzurichten. Denn dies hat in Italien viele Anhänger. Doch so kooperationsbereit Libyens Regierung sich regelmäßig in den Gesprächen zeigt, so wenig hat sie sich bisher praktisch bewegt. Die italienische Seite wiegelt ab und macht dafür allein „bürokratische Umsetzungsprobleme“ der Libyer verantwortlich. Tatsächlich jedoch erwartet Gaddafi kräftige Gegenleistungen und möchte in der Einwanderungspolitik nur dann den Ausputzer für Schily und Pisanu machen, wenn die EU ihrerseits die diplomatischen und die Wirtschaftsbeziehungen zu Libyen weiter normalisiert. Als „symbolische Geste“ erwartet Gaddafi den von Rom finanzierten Bau einer Autobahn quer durch sein Land, von der tunesischen zur ägyptischen Grenze, Kostenpunkt drei bis sechs Milliarden Euro. Berlusconi dagegen kann sich bisher nur vorstellen, den Libyern ein Krankenhaus zu spendieren. MICHAEL BRAUN