Parkplatz Praktikum

Der Übergang von der Schule in die Arbeitswelt ist bis heute Bildungsbaustelle. Millionen Schülern werden Praktika als Allheilmittel verkauft. Reformschule Winterhude setzt auf außerschulische „Herausforderungen“ wie Wandern durch die Alpen

VON MART-JAN KNOCHE

Es sind gar nicht die jungen Akademiker. Alles nur ein Mythos. Die echte „Generation Praktikum“ sitzt in den 8. und 9. Klassen der Schulen. Jedes Kind in Deutschland absolviert irgendwann sein erstes Betriebspraktikum, weil das mittlerweile alle Länder vorschreiben. Die außerschulischen Selbsterfahrungen von Millionen Schülern prägen unsere Generation.

Den Autor traf es im Frühjahr 1997, als Neuntklässler der Hamburger Gesamtschule Winterhude, noch einige Jahre bevor dort Lehrer und Eltern beschlossen, eine konsequente Reformschule zu gründen. Zwei Wochen tauchte der brave Zögling Knoche ein in die Arbeitswelt eines KFZ-Mechanikers. Danach wusste er, was er nicht werden will. Das sei ja gerade der Sinn, antwortete der Lehrer. Die Mission berufliche Orientierung sei erfüllt. Ach so, dachte er – und mit ihm der halbe Jahrgang.

Die Schülerpraktika waren bereits ein etabliertes pädagogisches Konzept – entwickelt aus den vereinbarten „Standards“ der Kultusminister, die den Übergang ins Berufsleben bis heute als eine Schlüsselaufgabe der Schulen definieren. Doch lange waren die Praktika so ziemlich alles, was die Jugendlichen dafür mitbekamen.

Obwohl schon das Hamburger Schulgesetz von 1997 besagt, dass alle Schulformen „eine umfassende berufliche Orientierung zu gewährleisten“ haben. Heute stellt Hamburgs Schulbehörde sogar fest, Berufsorientierung sei „Querschnittsaufgabe“ für jedes Fach. Es reicht also nicht mehr, die Kinder ein paar Wochen in den Betrieben zu parken. Zeitgemäße Berufsorientierung, so ein Behördenpapier, fördere „Eigenaktivität“ und verbinde außerschulisches mit schulischem Lernen.

Im Rahmen der Hamburger Bildungsreform, so ein Behördensprecher, werde es jetzt gar zu einer „gründlichen Reform des gesamten Übergangssystems Schule – Beruf kommen.“ Stichwort der Stunde sei „Individuelle Orientierung“.

Die Reformschule Winterhude prescht da voran: Sie startet das Projekt „Herausforderungen 2009“. Rund 350 Schülerinnen und Schüler reichten ihre Bewerbungen ein für eine „Herausforderung“ ihrer Wahl: Jeder Fachlehrer bietet ein Projekt an, das laut Stufenleiterin Kerstin Böttger, „die eigenen Grenzen ausreizen soll.“ Drei Wochen lang arbeiten die Jugendlichen aus den Klassen 8 bis 10 auf einem Bauernhof, fahren mit dem Rad von Hamburg nach Dresden, planen und bauen einen Wintergarten für das Schulcafé, überqueren wandernd die Alpen oder heuern in einer sozialen Einrichtung an. Manche beantragen eigene Ideen, zum Beispiel in einer anderen Stadt in eine WG zu ziehen, für die Miete zu jobben, um einmal zu erfahren, wie das Leben so ist, als Erwachsener.

Das Bewerbungsschreiben muss die Lehrer überzeugen. „Darauf freuen sich die Schüler das ganze Jahr“, sagt Kerstin Böttger. Und es fällt schwer, ihr das nicht zu glauben. Aber auch ein klassisches Betriebspraktikum gehört zu der Lebensorientierung der Stufen 8, 9 und 10: In den letzten vier Wochen vor den Sommerferien. Danach eröffnen die „Herausforderungen“, die die Klassenfahrten ersetzen, im August das neue Schuljahr.

„Neidisch, Knoche?“, fragt die stellvertretende Schulleiterin ihren ehemaligen Schüler, der der Bewerbungszeremonie beiwohnte. Die Entschulung der Mittelstufe steht hier jetzt im Mittelpunkt, angelehnt an den Reformpädagogen Hartmut von Hentig und dessen Formel „von der nützlichen Erfahrung, nützlich zu sein“. Um die Qualen eines formalisierten Unterrichts zu überwinden – und Lebenskräfte zu wecken, die später gerade im Beruf gefordert sind.

Einmal „raus aus der Schule zu kommen“, ist auch für die Schulleiterin der Erich-Kästner-Gesamtschule, Ulrike Janke, wichtig, „weil die Schüler draußen auf andere Regeln stoßen.“ Man betreibt hier den „Hamburger Server für deine Berufsorientierung“, der deutschlandweit Millionen Schülern reichlich Material bietet, um sich für das Berufsleben zu wappnen und Praktikumsplätze zu finden. Auch diese Hamburger Schule wurde, wie die in Winterhude, für den Deutschen Schulpreis 2008 nominiert: Ihr preisgekröntes Konzept für Berufsorientierung war ein Argument, das die Jury überzeugte.

Informationen: „Hamburger Server für deine Berufsorientierung“ von der Erich-Kästner-Gesamtschule: www.ekg-bo.de Infos zu den „Herausforderungen“ unter: www.gs-winterhude.de