Stimme Mongoliens

Über sieben Oktaven muss sie gehen: Die Tuvanerin Sainkho Namtchylak im Schlachthof

Die wasserstoffblonde Mongolin Sainkho Namtchylak war eine der ersten Künstlerinnen aus der ehemaligen Sowjetunion, die nach der Wende im Westen konzertierten. Und eine der Aufregendsten. Das ist sie geblieben: Über zehn Jahre, nachdem sie mit der Moskauer Jazz-Formation Tri-O zum ersten Mal in Bremen auftrat, beeindruckte sie nun erneut im Schlachthof.

Namtchylak war bereits in den späten 70er-Jahren nach Moskau gezogen. Angefixt vom russischen Free Jazz sog sie damals alles in sich auf, dessen sie habhaft werden konnte – von westlicher Avantgarde über die klassische Musik Chinas und Indiens bis hin zu schamanistischen und lamaistischen Techniken. Die Musik ihrer Heimat, der Republik Tuva – bekannt sind vor allem deren traditionelle Obertongesänge – verlor sie dabei jedoch nie aus den Ohren. Nach der Wende wurde sie so zu einer gefragten Improvisatorin, arbeitete mit Musikern wie Evan Parker, Peter Kowald oder Mats Gustafsson zusammen. Und überraschte mit diversen Alben unter eigenem Namen.

Bei ihrem Auftritt am Mittwoch begeisterte sie durch die Leichtigkeit, mit der sie, gemeinsam mit Ned Rothenberg (Bass-Klarinette, Shakuhachy), German Popov (Laptop, Flöte) und Michail Zukov (Schlagzeug) das weitgefächerte Programm ihres aktuellen Albums „Who Stole The Sky“ neu deutete. Unter dem Projektnamen „Digital Mutation“ führte das Quartett einen deutlich spröderen Ansatz vor als die Studio-Aufnahmen.

Egozentrisch wirkte Namtchylak dabei nie – auch wenn sie die beeindruckendste Performance bot: Ihre angeblich sieben Oktaven umfassende Stimme scheint jede nur erdenkliche Artikulation bis in die feinsten Verästelungen zu beherrschen. Mühelos switcht sie vom Obertongesang zur freien Improvisation und Jazz-Idiomen, wechselt die Register und Lagen. Und lässt doch ihren Mitmusikern Raum, sich zu entfalten – alle Konstellationen des Zusammenspiels werden genutzt. Schwachpunkt einzig die elektronisch generierten Breakbeats, die bisweilen etwas brav wirkten.

In manchen Momenten klingt Namtchylak gar ein wenig nach Björk. Was die Beats angeht, mag die zwar avancierter sein. Ihre oft aufdringliche Exaltiertheit aber erreicht bei weitem nicht die Intensität der Tuvanerin.

Brillant auch ein eher an Songs orientiertes Set. Auch hier erprobte die Band immer neue Kombinationen aus Pop, Jazz, traditionellen und avantgardistischen Verfahren – stets zusammengehalten durch diese spektakuläre Stimme. Als Zugabe – das Saallicht war zwischendurch schon aufgedreht worden – ein Solo: Sainkho Namtchylak kehrte allein auf die Bühne zurück, und sang, ganz ohne Mikrofon, ein Stück in den Saal hinein. Ein eindrucksvoller Abend.

Andreas Schnell