das japanische Kollektiv „nibroll“, jetzt zu Gast auf Kampnagel, spiegel das aktuelle tokyoter leben
: Ufos und Regenbögen

Zwanzig Jahre, nachdem der Butoh, der Tanz der Finsternis, die Welt eroberte und zehn Jahre, nachdem Gruppen wie die international gefeierte Formation Dumb Type mit ihren grellen Attacken digitaler Technologien dem menschlichen Körper den Krieg erklärten, sucht der zeitgenössische Tanz in Japan heute nach neuen Ausdrucksformen. Das Künstlerkollektiv Nibroll geht hier den Weg der Kooperation und wechselseitigen Inspiration unterschiedlicher Genres.

„Note“ heißt das Stück der Gruppe aus Tokio, das jetzt zum Abschluss des Laokoon-Festivals auf Kampnagel zu sehen ist. „Anlass“, erzählt Mikuni Yanaihara, die Choreografin der Gruppe, „war 2002 eine Einladung in die USA, um in Pittsburg zusammen mit einer amerikanischen Tanzgruppe eine Produktion zu erarbeiten.“ Anschließend ging man zusammen auf Tournee. Thema sollten die Anschläge vom 11. September 2001 sein. „Das war auch für uns ein Schock, der mich dazu bewegt hat, neu über den Begriff Frieden nachzudenken.“ Vor allem das Phänomen der Gleichzeitigkeit der Wahrnehmung eines Geschehens, das in einer fremden, entfernten Welt stattfindet, habe sie zu Reflexionen angeregt über Formen der Übersetzung der Bilder und Gedanken im Kopf.

In Tokio wurde das Stück dann neu aufgenommen. Mode- und Sounddesigner, Videokünstler und Yanaihara als Choreografin bilden das 1997 gegründete Kollektiv Nibroll. Alle brachten Ideen ein, die jetzt zusammen mit sieben Tänzern umgesetzt werden. Nähe und Distanz, aber auch Erinnerung spielen in dem Projekt eine Rolle. Yanaihara hat eine enge Straße vor Augen, auf der zwei Menschen aufeinander zukommen. „Die Begegnung ist der Punkt, an dem etwas passiert, und das interessiert mich“, sagt sie.

Ihr Kollege, der Filmemacher Keisuke Takashi, hatte demgegenüber Assoziationen von Regenbögen und Ufos. Eine überbordende Vielfalt an Information trifft so auf der Bühne zusammen. Yanaihara zieht das Bild von zum Gefäß geformten Händen heran, die ständig überlaufen. Eine Metapher für Tempo, Masse und Hektik des Lebens in Tokio.

Nibroll verstehen es wie kaum eine andere Gruppe, das Lebensgefühl der jungen Generation Japans einzufangen, heißt es über ihre Stücke. Dabei steht die mittlerweile bekannte Marke Nibroll sowohl für Design und Mode als auch für bildende Kunst, für zeitgenössischen Tanz und für ein eigenes Musiklabel. „Über die kommerziellen Branchen finanzieren wir unsere Kunst“, erläutert Yanaihara. Die Produktion „Note“ verstehen Nibroll als Konzept, das bereits in drei Varianten – als Tanz, Theater und Modenschau – existiert.

Ursprünglich kennen gelernt haben sich die Mitglieder an der Kunsthochschule in Tokio. Mikuni Yanaihara hatte da bereits ein Studium an der Universität von Osaka mit Schwerpunkt Tanz abgeschlossen. Zwischen drei und sechs Monate arbeiten die fünf künstlerischen Köpfe von Nibroll jeweils an einem Projekt. Ihren oft hitzigen Auseinandersetzungen begegnen sie mit einer Regel: Wer einen anderen kritisiert und dessen Idee ablehnt, muss einen Gegenvorschlag einbringen. Auf diese Weise arbeiten sie nun seit sieben Jahren sehr produktiv zusammen. Marga Wolff

27.–29. 8., 20 Uhr, Kampnagel