Wer besitzt, ist im Recht

Hasskappen und Kaffeehäschen: Die Ausstellung „Nine Points of the Law“ in der NGBK untersucht die Machtzusammenhänge medial vermittelter Bildbotschaften und stellt neue Gegenstrategien vor

VON TIM ACKERMANN

Mitnehmkunst ist toll, weil jeder gern etwas geschenkt bekommt: Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) verschenkt zum Beispiel zur Zeit „Hasskappen“ – jene Demonstrantenkopfbedeckungen, denen man in Kreuzberg vor allem zur Frühlingszeit begegnet.

Die Häubchen transportieren einen Hintergedanken: Elke Marhöfer und Barbara Frieß haben ihr Multiple in einer Auflage von 600 Stück anfertigen und mit einem kryptischen Spruch verzieren lassen: „Mach dich weg und denke wir“. Die beiden Berliner Künstlerinnen reagieren darauf, dass die Polizei bei Einsätzen auf Demonstrationen Videokameras verwendet. „Mach dich weg und denke wir“ lädt den Betrachter ein, sich durchs Überstreifen der „Hasskappe“ der polizeilichen Erfassung zu entziehen und ein anonymes Teilchen in der Masse des „Schwarzen Blocks“ zu werden.

Dieses Unterlaufen staatlicher Kontrolle ist die radikalste Position in der neuen NGBK-Ausstellung „Nine Points of the Law“, die Fragen zum gesellschaftlichen Umgang mit der alltäglichen Bilderflut stellt. Der Ausstellungstitel – mindestens so kryptisch wie der des „Hasskappen“-Multiples – ist eine Verstümmelung des englischen Sprichworts „Possession is nine points of the law“. Frei übersetzt: „Wer besitzt, ist im Recht.“ „Der Titel spielt auf die prekäre Kausalität von Bildbesitz und Verfügungsmacht an“, sagt Katia Reich von der Arbeitsgruppe Fotografie der NGBK.

Das ist ein Thema, das in der Luft liegt – schließlich erlebt jeder Mensch tagtäglich, wie Politik, Wirtschaft und Medien visuelle Informationen für ihre Zwecke instrumentalisieren. Die Manipulation der Wahrheit durch digitale Fotografie ist schon ein Gemeinplatz des 21. Jahrhunderts geworden. Dagegen wurde das Zusammenspiel zwischen Bildbesitz und Bildkontrolle durch Vermarktung bisher kaum in künstlerischen Kontexten thematisiert.

Eine der wenigen Ausnahmen ist die viel beachtete Text- und Lichtinstallation „The Lament of the Images“, die der Künstler Alfredo Jaar 2002 für die Documenta XI schuf. Bestandteil von Jaars Kunstwerk ist eine Schautafel, die erzählt, dass Microsoft-Firmenchef Bill Gates haufenweise Archive mit Pressefotografien aufgekauft hat, um sie in einer alten Kalkmine einzulagern und dann die digitalen Reproduktionen teuer zu verkaufen. Da allerdings erst ein sehr kleiner Prozentsatz von Gates 65 Millionen Bildern digitalisiert wurden, kommt die Bildereinlagerung einer Bildervernichtung gleich.

Jaars Installation ist nicht Teil von „Nine Points of the Law“. „Sie war aber Anstoß für die eigene Recherche der Arbeitsgruppe Fotografie“, sagt Katia Reich. Die Ausstellung versammelt zehn künstlerische Positionen, die sich entweder Bildsymbole der Werbeindustrie für eigene subversive Zwecke aneignen oder die militärische, wirtschaftliche und politische Kontrolle bei der Bildentstehung und Bildverwendung thematisieren. Man sieht viel Videokunst, interessanterweise kaum Fotografie. Schon im Eingangsbereich werden Sehgewohnheiten zerbröselt: Die Wandmalerei der mexikanischen Künstlerin Minerva Cuevas wirkt wie ein Werbeposter des US-Lebensmittelkonzerns Del Monte. Doch statt der Aufschrift „Pure Tomato“ hat sie die Worte „Purer Mord“ eingefügt. Daneben stellt eine Informationstafel Del Monte als Nutznießer eines Genozids an der Maya-Bevölkerung in Guatemala dar.

Neben solch direkten, wütenden Angriffen gibt es in der Ausstellung auch Arbeiten, die in ihrer Kritik durchaus pittoresk wirken: In einem Video lässt Mircae Cantor eine Demonstrantengruppe durch Tirana laufen, die statt Transparenten große Spiegel tragen. Damit soll die Gier der möglicherweise anwesenden Journaille auf markige Protestslogans buchstäblich zurückgeworfen werden. Die Spiegel fangen jedoch während des Zugs auch immer wieder die buntbemalten Häuser Tiranas ein. Diese fragmentierten Ansichten farbiger Gebäude geben dem Video eine poetische Qualität.

In anderen Bereichen betreibt „Nine Points“ ganz prosaische Aufklärung: Eine begleitende Ausstellungsreihe und der Katalog erweitern das Kritikvokabular. „Snipers“, schreibt Florian Waldvogel in Letzterem, „setzen auf Attacken gegen bereits bestehende Werbung mit dem Ziel, sie durch leichte Veränderungen für gegenteilige Aussagen zu verwenden.“ Ein Paradebeispiel des Snipers ist der Street-Art-Künstler Zevs, der 2003 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf dem Alexanderplatz das Mädchen aus der „Lavazza“-Kaffee-Werbung aus ihrem Billboard schnitt und kidnappte. In der NGBK ist jetzt ein Video zu sehen, in dem Zevs 500.000 Euro Lösegeld für das entführte „Coffee-Bunny“ fordert. Die Abwicklung läuft über die NGBK. Bleibt nur zu hoffen, dass die das Geld auch zweckgerecht verwendet und nicht einfach für 50.000 weitere „Hasskappen“ verpulvert.

Bis 3. Oktober, täglich 12 bis 18.30 Uhr, NGBK, Oranienstraße 25.Katalog 12 Euro