sarah bsc
: Blöder Erfolg

Mein Bekannter Micha sah traurig aus, als ich ihn am Freitag zufällig in der Kneipe traf. „Was ’n los?“ „Och, nichts Bestimmtes.“ „Du hast doch was.“ „Nö, nicht wirklich. Eigentlich alles o. k.“ „Na komm, ich geb einen aus.“

Wir tranken Bier, Micha blieb still, und da wir uns nicht wirklich gut kennen, versuchte ich, Konversation zu betreiben. Nur: Auch das ist nicht so einfach. Ich suchte nach einem Thema und blieb an Michas Shirt, das unter seinem Pullover hervorblitzte, hängen. Da ist es ja, das Gesprächsthema. „Ach“, ich zeigte auf den blau-weißen Ausschnitt, „du bist also immer noch Herthafan. Supersaison für uns, was!“ „Na ja, geht so.“ „Wie, geht so? Hertha steht ganz oben in der Tabelle. Das ist doch toll. Gehst du noch ins Stadion?“ Micha nahm einen weiteren Schluck Bier, bevor er den Kopf schüttelte. „Warum das denn nicht? Ist dir die Karte zu teuer?“ „Nee, das nun nicht. Aber …“ – jetzt brach das ganze Unglück, das Micha schon die ganze Zeit ausströmte, hervor – „… das ist nicht mehr meine Hertha! Ich war Fan von einem Verein, der es nie auch nur annähernd nach oben schafft. Einer, über den man sich ärgern kann. Ein Verein, der so mittelmäßig ist wie ich selber. Und jetzt? Ist doch Mist, dass die laufend gewinnen. Ich gewinne schließlich auch nie.“

Er schlug mit der Faust auf den Tresen und blickte mich erwartungsvoll an. Ich wusste ich nicht, was ich erwidern könnte. Also versuchte ich es mit „Na, aber, man kann sich doch trotzdem freuen“ und mit „Es ist doch nur ein Spiel“. Und dann setzte ich noch einen drauf und sagte: „Und du bist doch nicht wirklich mittelmäßig, Micha.“

Doch der Blick, mit dem er mich ansah, entlarvte meine gutgemeinte Lüge. Ich spendierte Micha einen Schnaps und machte mich auf den Heimweg. Den Rest des Abends dachte ich über die Schattenseiten des Aufstiegs von Hertha nach. Aus Michas Sicht hat Hertha am Samstag natürlich total schlecht gespielt. Gott sei Dank sehe ich das anders. Ganz anders. SARAH SCHMIDT