Fischers letzter Schutz: zwei Blatt Papier

Der Außenminister, lange wirksamster Volksredner für Rot-Grün, steht in der Ecke: Sozialdemokraten werfen ihm vor, sich vor dem Kampf für Hartz IV zu drücken. Jetzt wehrt sich der Grüne – und reitet gegen seinen alten Spezi Lafontaine

„Wie wäre es, wenn sich Fischer auch mal in die Innenpolitik einschaltete?“

BERLIN taz ■ Joschka Fischer rüstete sich gestern in Berlin für den Volkszorn. Einen Tag nachdem der Kanzler in Ostdeutschland mit Eiern beworfen wurde, machte sich sein Vize auf zum Wahlkampf im Heimatland des ärgsten Reformkritikers, Oskar Lafontaine. Zum Schutz vor Anwürfen empörter Anti-Hartz-Demonstranten hat sich der Außenminister zwei Blatt Papier, Format DIN A4, in die Brusttasche seines Jacketts geschoben. Inhalt: Lafontaine-Zitate von 1998.

Fischer glaubt, mit den Zitaten des Finanzministers von einst den Populisten von heute entlarven zu können. „Ein Mann räumt auf“, hieß es damals im Spiegel über den „Superminister in Gerhard Schröders Kabinett“. Ausgerechnet „der Traditionalist Oskar Lafontaine überrascht seine Partei mit Modernisierungsplänen“, schrieb das Magazin wenige Wochen nachdem Rot-Grün in Bonn die Macht übernommen hatte. Der damalige Finanzminister und SPD-Vorsitzende steuerte markige Sätze bei, die sich wie eine Vorab-Verteidigung der Hartz-IV-Regelungen lesen: Bei der Arbeitslosenversicherung sei es doch so, „dass es viele Fälle gibt, in denen jemand hohes Arbeitslosengeld bezieht, obwohl Familieneinkommen und Vermögen da sind. Und ich frage nun, ob der Sozialstaat nicht besser so konstruiert sein sollte, dass nur die Bedürftigen Nutznießer des Sozialstaats sind?“

Doch die diebische Freude, die das vermeintliche Beweismaterial dem Möchtegern-Ankläger Fischer bereitet, kann nicht verdecken: Derzeit ist Fischer der Angeklagte. Der Vorwurf lautet: Drückebergerei im Kampf der Regierung gegen die Hartz-Protestler. Zunächst hinter vorgehaltener Hand, seit gestern auch mit Name und Titel beschweren sich führende Sozialdemokraten über den Mann, der sich in zwei Bundestagswahlkämpfen als der Koalition populärster Volksredner erwies. Ausgerechnet Fischer, so der SPD-Ministerpräsident Harald Ringstorff aus Mecklenburg-Vorpommern, „taucht in der ganzen Debatte total ab“, während Hartz IV das Land spaltet. „Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn sich Fischer bei aller Wichtigkeit der Außenpolitik auch einmal in die innenpolitische Debatte einschalten würde“, ätzte er in der Berliner Zeitung. Regierungssprecher Béla Anda machte gestern die Sache für Fischer nicht besser. „Ich bin fest davon überzeugt, dass auch der Außenminister seine Stimme erheben wird“, sagte der Sprecher und zementierte damit den Eindruck: Wer erst noch reden wird, hat bisher geschwiegen.

Der Gerügte fühlt sich persönlich verkannt und politisch in die Ecke gestellt. Hat er etwa je eine politische Kontroverse gescheut? Musste er sich nicht auf dem Kosovo-Parteitag zu Bielefeld einen Farbbeutel um die Ohren hauen lassen? Da soll ihm besser keiner Feigheit vor den Eierwerfern vorhalten.

Vor 700 Zuhörern in Saarbrücken und mit Reklame-Interviews will der Vizekanzler nun seinen Einsatz ins rechte Licht setzen. Auch zwei Auftritte in den Landtagswahlkämpfen in Sachsen und Brandenburg sind geplant. Fischers Hartz-IV-Verteidigung geht in etwa so: Erstens, ich bin ein Linker. Darum, zweitens, wäre mir’s auch lieber, wenn’s ohne Hartz ginge. Drittens, weil’s ohne Hartz nicht geht, ist Hartz alternativlos. Viertens, klinge ich etwa nicht wie Gerhard Schröder?

Doch die Gereiztheit zwischen SPD und Grünen ist damit nicht aus der Welt zu schaffen. Zu unterschiedlich wirkt sich die Reformpolitik der Bundesregierung auf die Wählergunst der zwei Koalitionsparteien aus. Solange die Grünen gegenüber ihrem Bundestagswahlergebnis zulegen, die Roten aber weiter zurückliegen, so lange tun sich die Koalitionäre schwer mit der Harmonie.

Bei relativ stolzen 13 Prozent für den kleinen Partner, aber nur kargen 26 für den Großen halten grüne Strategen für die Sozialdemokraten nur einen letzten Trost bereit: Was Hartz für die SPD ist, waren Kosovo und Afghanistan für die Grünen. Schließlich riskierten die Grünen, so das Argument, mit der Unterstützung für zwei deutsche Kriegseinsätze ähnlichen Ärger bei ihrer Basis wie nun die Sozis durch die Sozialreformen. Es ist der Trost der Verzweiflung. Während der große Partner dem kleinen Drückebergerei vorhält, ruft der zurück: Überleben ist möglich! Doch von einer Mehrheit bei der nächsten Wahl ist auch 13 plus 26 noch weit entfernt. PATRIK SCHWARZ

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