„Kein Design for all“

Mit zunehmendem Alter wird es auch immer schwieriger, die alltäglichen Aufgaben zu bewältigen. Forscher und Designer versuchen, Gebrauchsgegenstände so umzubauen und neu zu gestalten, dass ihre Nutzung auch für die Betagten möglich ist

„Selbst wenn wir das Display zuhalten, werden die Knöpfe gedrückt“

von CLAUDIA BORCHARD-TUCH

Wer hat nicht schon einmal ein gewisses Gefühl von Hilflosigkeit nach dem Kauf eines Gerätes verspürt? Dicke Handbücher, unverständliche Zeichen auf der Bedienoberfläche und zahlreiche Multifunktionstasten erschweren den Einstieg. Oftmals schraubt der Entnervte seine Erwartungen deutlich zurück und gibt sich schließlich damit zufrieden, nur einen Bruchteil der Funktionen nutzen zu können. Manchmal verschwindet das Gerät auch für immer in einer Ecke.

Aber es sind nicht nur die neuen Geräte, die Probleme bereiten können. Eine Studie von Christoph Eberle von der Universität der Künste in Berlin bestätigt dies. „Alltäglich begegnen dem Benutzer immer wieder Gebrauchsgegenstände, die es ihm schwer machen“, erklärt Eberle. „Wie oft zieht man Türen, anstelle sie zu drücken? Wer ordnet einen Drehknopf der entsprechenden Herdplatte richtig zu – und zwar ohne auf die Symbole zu schauen? Warum muss man bei manchen Autos für den Rückwärtsgang nach rechts hinten, bei anderen nach links vorne schalten?“ Eberle gehört einer interdisziplinären Forschungsgemeinschaft an, die das Projekt Sentha – seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag – vorantreibt. Ziel ist es, neue Produkte für zu Hause zu entwickeln, die vor allem den Bedürfnissen älterer Menschen entgegenkommen.

Das Sentha-Projekt führte zu vielen wichtigen Erkenntnissen. So beobachteten Wissenschaftler von der Technischen Universität Berlin, wie ihre Testpersonen die Klingellautstärke eines Handys zu ändern versuchten. Die Forscher erwarteten, dass die Senioren vor allem damit zu kämpfen hätten, die kleinen Tasten zu finden, kryptische Symbole zu erkennen oder die Anzeige zu verstehen. Das war tatsächlich nicht immer einfach. „Doch für die meisten ist das Problem ein ganz anderes“, berichtet der Sprecher der Forschungsgruppe, Wolfgang Friesdorf. „Senioren verstehen gar nicht, was eine Menüsteuerung ist. Selbst wenn wir das Display zuhalten, werden die Knöpfe gedrückt.“

Ein anderes Problem sind die Gelenke, deren Beweglichkeit im Laufe der Jahre abnimmt. Eine Hand, die ein Glas Wasser festhalten soll, muss sich ausreichend weit öffnen können. Ein Rücken, der sich bücken will, muss sich genügend krümmen können. Und ein Arm, der zum obersten Regalfach hochkommen soll, muss sich ausreichend strecken können. „Kraft ist dagegen in den gängigen Bereichen, die wir im Haushalt benötigen, in der Regel vorhanden“, sagt Friesdorf. „Das müssen wir bei der Entwicklung unserer Geräte in Betracht ziehen.“

Ob diese allerdings nur die Bedürfnisse der Älteren erfüllen sollten, daran scheiden sich die Geister. „Kein Design for all“, lautet die Ansicht von Friesdorf: „In seiner Wohnung wird der Senior seine Geräte haben wollen, seine individuelle Einrichtung haben wollen – und eben nicht das Design for all. Senioren haben ein Recht auf ihre Produkte. Und die werden anders sein als die Produkte aus dem Design for all“, meint Friesdorf.

Heinz Weißmantel und Robert Kissel von der Technischen Universität Darmstadt sind anderer Meinung. Warum sollte das Design for all nicht jedem Menschen Vorteile bieten können? So könnten Geräte, die sich aus mehreren austauschbaren Funktionseinheiten zusammensetzen, ausgezeichnet auf die Wünsche der Kunden abgestimmt werden. Derjenige, der mehr Funktionen für sein Gerät wünscht und auf eine sehr einfache Bedienung verzichten will, kann ebenso zufrieden gestellt werden wie derjenige, der eine leichte Bedienung für wichtiger hält und nur die Grundfunktionen benötigt.

Zudem ist die Bedienung von Geräten offensichtlich nicht nur für Ältere des Öfteren schwierig. „Der Trend zu immer kleineren Geräten mit winzigen Tasten und kleinen Anzeigen ist doch für viele Nutzer fatal“, meinen Weißmantel und Kissel. So sind Beschriftungen von Fernbedienungen oft schlecht lesbar, LC-Displays im Allgemeinen zu kontrastschwach, die verwendeten Symbole alles andere als eindeutig und Menüführungen umständlich und verwirrend.

Die ideale Benutzerschnittstelle sieht dagegen ganz anders aus. Weißmantel und Kissel können sie genau beschreiben: „Es wäre doch für jeden eine Erleichterung, die Bedienung eines Gerätes gar nicht mehr erlernen zu müssen. Die Erfahrungen, die man im Lauf eines Lebens mit Geräten gemacht hat, sollten ausreichen, um intuitiv mit einem neuen Gerät umgehen zu können, das man zum ersten Mal sieht.“

Dieses Leitbild der Barrierefreiheit könnte sogar ökonomische Vorteile bieten – dies haben auch einige Firmen herausgefunden. In Usability Labs, Benutzerfreundlichkeitslabors, testen Wissenschaftler gemeinsam mit potenziellen Nutzern, ob Produkte auch einfach und bequem zu bedienen sind.

Denn oft können sich die Konstrukteure nur schwer in die Situation eines Benutzers hineinversetzen. Das ist verständlich – schließlich ist der Entwickler mit der Bedienung seines Gerätes vollends vertraut. So kann er sich meist gar nicht vorstellen, auf welche Weise irgendjemand damit Schwierigkeiten haben könnte. Dabei müssen Bedienabläufe, die dem Konstrukteur vollkommen logisch erscheinen, nicht unbedingt dem Benutzer verständlich vorkommen.

Welche Schwierigkeiten dies im Einzelnen sind, kann ein Benutzerfreundlichkeitslabor recht schnell herausfinden: Mit nur fünf repräsentativ ausgewählten Testpersonen lassen sich 80 Prozent der Schwachstellen eines Produkts erkennen. Auf diese Weise lassen sich im Schnitt 30 Prozent der Entwicklungskosten einsparen.

Die Benutzer haben genug von der High-Tech-Überflutung – dies fand man im Siemens-Fachzentrum User Interface Design heraus. „Die Kunden wollen wenige, aber zielgerichtete Funktionen. Die Kunst liegt nun darin, diese mit möglichst wenigen Tasten und Reglern anzubieten. Dies erreicht man nur durch klar strukturierte Bedienoberflächen und eine klare Menüführung“, sagt die Leiterin Heidi Krömker.

Wahrscheinlich wird sich dieser Trend in Zukunft ganz von selbst verstärken. Denn die Altersstruktur der Bevölkerung in den Industriestaaten wandelt sich: Die Zahl der über Sechzigjährigen wird bis zum Jahr 2030 beträchtlich steigen. Mehr als 30 Prozent der Bevölkerung ist dann in Deutschland über 60 Jahre alt. Die Finanznot der öffentlichen Kassen führt dazu, dass die Mehrheit dieser Menschen bis ins hohe Alter im eigenen Zuhause lebt. Der ältere Mensch bleibt damit ein wichtiger Kunde der Industrie. Sie ist gezwungen, Produkte zu entwickeln, die benutzerfreundlich und barrierefrei sind.