Lebensabend vor Gericht
: Rentnerkrieg auf Lanzarote

Unklar ist, ob nun Herr und Frau H. das Trinkwasser und die Wände von Herrn und Frau J. mit Fäkalien versahen, Mauern zerstörten, Schlösser zuklebten und Zierpflanzen vernichteten.

Weil Frau J. aber genau das behauptet und nicht nur bei sich zu Hause, sondern in Gerichtssaal 1104 des Moabiter Strafgerichts, ist klar, dass das Ehepaar J. und das Ehepaar H. sich aus irgendwelchen Gründen nicht verstehen. Klar ist damit auch, dass ihre Lebensqualität nicht unbedingt stieg, seit sie sich auf der spanischen Insel Lanzarote niederließen, sondern eher sank, weil sie auf diese Weise Nachbarn wurden.

Zum Beleg einige Auszüge aus dem Gerichtsverfahren gestern: „Ich habe keine Zierpflanzen zerstört. Die hatten doch gar keine Zierpflanzen, nur Kakteen. Und so ein Kakteenblatt fällt schon mal von alleine runter. Aber die rennen dann ja gleich zur Polizei“, sagt Frau H.

Die Version von Frau J. dagegen: „Die haben dann immer so Steine über die Mauer geworfen. Ich weiß nicht wer, aber die Steine flogen einer nach dem anderen in unseren Garten.“ Nachfrage des Richters: „Haben sie auch gesehen, wie Zierpflanzen getroffen wurden?“ Frau J.: „Ja sicher habe ich das gesehen.“

Dann ist da die Sache mit dem Schuppen, die den Hauptanklagevorwurf ausmacht, „Zerstörung von Bauwerken“, bis zu fünf Jahre Haft stehen darauf. Nur, welcher Schuppen? Sind drei Seitenmauern ohne Dach schon ein Schuppen? Das muss der Richter klären. Herr H. behauptet, es hätte nie einen Schuppen gegeben, nur einen Baubeginn, durch den auch noch eine Tür seines Hauses zugemauert worden sei. Das wollte er nicht zulassen und hat die Tür wieder geöffnet, indem er die Mauer einklopfte. Frau J. schüttelt immer nur den Kopf. Sie ist Nebenklägerin und hat viele Fotos und viele Dokumente in Plastikfolien mitgebracht.

Das macht dem Richter die Frage nach der Schuppenexistenz leichter. Er verlangt ein Schuppenfoto. Frau J. beginnt zu suchen und wird immer aufgeregter. „Was suchen Sie denn?“, fragt ihr Anwalt. „Na, den Schuppen“, sagt sie und findet ihn dann doch kurz darauf auf dem Boden. Das heißt: Sie findet ein Foto, auf dem der Richter auch keinen Schuppen erkennen kann, sondern nur drei Mauern.

Frau J. und das Ehepaar H. ereifern sich im Gericht so sehr, dass man sich ungefähr vorstellen kann, wie es auf Lanzarote am Montana Blanca in Finca fünf und dem Nachbarhaus zugeht. „Wie haben die Polizei geholt“, sagt Frau J. „Nein, wir haben die Polizei geholt, aber hundert Pro“, sagt Frau H. „Die spinnt doch“, sagt Frau H. leise, derweil Frau J. mit ihrer Hand den Scheibenwischer macht.

Zeugen, eidesstattliche Erklärungen, spanische Urteile, deutsche Urteile, mehrere zivilrechtliche Instanzen, Polizeieinsätze, Strafanzeigen, Freisprüche, neue Anzeigen, neue Anklage: Die Nachbarschaft sichert schon seit acht Jahren Arbeitsplätze im europäischen Justizwesen.

„Ich bin doch nicht nach Lanzarote gezogen, um meinen Lebensabend vor Anwälten und Gerichten zu verbringen“, sagt Herr J. Doch dann droht sein Anwalt, dass die Versicherungssache der Nachbarn noch ein Nachspiel haben werde, von wegen „doppelt kassieren“. Und so nützt es auch nichts, dass er und seine Frau in Sachen Schuppen und einem weiteren Punkt freigesprochen werden, alles andere eingestellt wird. Es wird ein mit Paragrafen angereicherter Lebensabend bleiben. MAREKE ADEN