beim zeus
: Mitten in der Hellas-Hölle

FRANK KETTERER über einen ganz normalen Leichtathletik-Tagim Athener Olympiastadion

Es war ein ganz normaler Leichtathletik-Tag bei Olympia. Er begann irgendwann am Vormittag und mit der nächsten Hiobsbotschaft: Auch bei Françoise Mbango Etone, der Dreisprung-Ersten aus Kamerun, wurde Verbotenes im hüpfenden Körper aufgefunden. Dass Etone erwischt wurde, findet man natürlich klasse; dass dafür jetzt die Griechin Hrysoiyi Devetzi zur Siegerin erklärt wird, ist, mit Verlaub: Scheiße. Vor einem Jahr sprang die blonde Dame nämlich noch einen Meter weniger, jetzt aber verfügt sie über Oberschenkel wie ein Pferd und hüpft olympischen Rekord.

Aber das war nur das Vorspiel. Der Abend beginnt mit der Weitsprungqualifikation der Frauen, am Start auch Marion Jones. Jones steht unvermindert im Mittelpunkt des amerikanischen Dopingskandals. Später das 200-m-Halbfinale. Ohne Kostas Kenteris, den griechischen Doping-Sündenfall schlechthin, aber mit Shawn Crawford und Justin Gatlin. Die beiden US-Boys nennen sich die New Generation, aber sie trainieren bei Trevor Graham, einem Trainer, der schon die alte Generation schnell gemacht hat, mit welchen Mitteln, weiß man mittlerweile. Die neue Generation ist fast noch schneller als die alte. Zwischen 200-m-Finale und Weitsprung-Qualifikation aber findet der Höhepunkt des Abends statt: Das Finale über 400 m Hürden der Frauen. Gewinnen wird die Griechin Fani Halkia, das steht schon vorher fest. Vor einem Jahr lief die schnelle Dame noch 3,7 Sekunden langsamer – und als bei einem Wettkampf in Griechenland die Dopingkontrolleure kamen, lehnte sie dankend ab, worauf die Kontrolleure wieder von dannen schlichen.

Aber das spielt keine Rolle. Jetzt geht das Hellas-Geschrei wieder los, das ganze Olympiastadion ist eine einzige Hellas-Hölle, gerade so, als habe es Kostas Kenteris nie gegeben. Man mag die Griechen, man mag ihr Essen und vor allem ihren Retsina. Aber was sie hier im Stadion für eine mit 99-prozentiger Sicherheit gedopte Athletin vollführen, findet man nach allem, was man hier hat erleben müssen, nur noch abstoßend.

Vielleicht sollte man jene fragen, die es zuvorderst betrifft. Trainer, Betreuer und Funktionäre aus Deutschland haben sich ja bereits geäußert. „Es wird gedopt auf Teufel komm raus mit Epo, Anabolika und Wachstumshormon. Unsere Leute sind chancenlos“, hat beispielsweise der deutsche Leichtathletik-Teamarzt Helmut Schreiber gesagt. Auch Jürgen Krempin, der Trainer von 400-m-Läufer Ingo Schultz, hat Frust kundgetan. „Ich habe Probleme damit, Sportler zu trainieren, die am Ende keine Chance haben, weil die Kraft der Konkurrenten aus der Apotheke kommt.“

Wie aber sehen es die Athleten? Also hinuntergestürmt in die Mixed-Zone des Olympiastadions und eine Umfrage gemacht unter den deutschen Leichtathleten. Bianca Kappler ist kurz zuvor 6,69 m gesprungen und hat das Finale erreicht. Nun steht sie am Absperrgitter und sagt: „Es sind hier ja ein paar Entwicklungen in Gang gesetzt worden, die für viel Unruhe gesorgt haben. Aber das sind Dinge, die Insider schon lange wissen. Damit leben wir doch schon lange.“ Woher aber weiß sie all die Dinge? „Man muss sich doch nur mal umschauen“, sagt die 26-Jährige, „es gibt Merkmale, die kann man ja nicht übersehen.“ Sie will da nicht näher ins Detail gehen, aber man versteht auch so: Athleten, die plötzlich Zahnspange tragen, so wie Marion Jones, und denen Kiefer wachsen, so groß wie Schaufelbagger. Oder Sprinter, die Kreuze wie Möbelpacker ihr Eigen nennen. Vor allem aber: Leistungssprünge bei Fani Halkia. „Wenn ich hier plötzlich 7,50 m springen würde, müsste man das auch in Frage stellen“, sagt Bianca Kappler. „Es gibt einfach Dinge, die möglich sind, und es gibt Dinge, die nicht möglich sind.“ Stört es sie nicht, dass andere das Unmögliche möglich machen? Bianca Kappler hält ein bisschen inne, dann sagt sie: „Nein. Ich treibe Sport, weil es mir Spaß macht. Und ich weiß, dass ich auch noch in 30 Jahren gesund bin.“

Tobias Unger ist gerade als erster Deutscher seit 1984 ins 200-m-Finale gestürmt, nach 20,54 Sekunden. Und wer weiß, vielleicht wäre er nicht ins Finale gekommen, wenn Kenteris, der Doping-Grieche, nicht rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen worden wäre. Nun sagt Unger: „Ich beschäftige mich nicht damit. Was kann ich denn tun, außer zu trainieren?“ Er sagt aber auch: „Natürlich gibt es schwarze Schafe. Und natürlich verzweifeln auch wir manchmal daran. Aber es macht mich persönlich ja nicht schneller, wenn ich sage: Der dopt – und der und der auch. Das ist doch Zeitverschwendung, das soll die Wada machen.“

Ingo Schultz, der 400-m-Läufer, ist im Halbfinale ausgeschieden, will das Doping-Thema aber nicht als Ausrede missbrauchen. „Man sollte nicht gleich die große Keule schwingen und Doping schreien, wenn mal einer besser ist“, warnt er. Aber auch er kommt nicht umhin zu sagen: „Das Problem ist so alt wie der Sport selbst. Das lässt sich nicht in den Griff kriegen.“ Es ist traurig, aber wahrscheinlich hat er Recht.