: Bremen wird verrückt
Moving the City: Lange war der Kleinstaat Pionier der „Kunst im öffentlichen Raum“. Nun knüpft Bremen an diese Vergangenheit wieder an – als erste Stadt, in der sich die Skulpturen von ihren Stammplätzen wegbewegen dürfen
Er reitet nicht mehr allein: Deutschlands einziger Bismarck zu Pferde, 1910 im Schatten des Bremer Doms postiert, hat seit gestern Gesellschaft. Am Rathaus gegenüber sind zwei Kupferritter aufgetaucht, deren leicht klapprige Gliedmaßen auf umso stabileren Betonpodesten ruhen. Die senatorische Kulturverwaltung hat sie aus dem Park eines noblen Altersheims holen lassen, um zu zeigen: In Bremens öffentlichem Raum tut sich was.
In der Tat – fast vierzig Kunstwerke werden in den kommenden Wochen umgestellt, um deren Relevanz neu zu entdecken und ungewohnte Dialogfelder zu eröffnen. Das Motto: „Moving the City“.
Schließlich ist Bremen der Erfinder von Begriff und Praxis der „Kunst im öffentlichen Raum“. Seit Anfang der siebziger Jahre wurden KünstlerInnen eingeladen, sich mit den historischen, architektonischen und sozialen Gegebenheiten der Stadt und ihrer Teile auseinander zu setzen, was im sozialdemokratischen Bremen immer auch als aktive Künstlerförderung verstanden wurde. Es entstanden weit über 200 Werke, darunter 85 großformatige Wandbilder. Die sorgten bei den jeweiligen AnwohnerInnen für lebhafte Diskussionen, zumal es sich oft um fotorealistische Abrechnungen mit dem Faschismus handelt. Zahlreiche in der Stadt verteilte Hochbunker boten dafür unerschöpfliche Flächen.
Seitdem wird in Bremen sogar die Bemalung der Stromkästen auf den Straßen mit einem jährlichen Wettbewerb vorangetrieben. Allerdings: So folgenreich die vor genau 30 Jahren von der Bremer Bürgerschaft beschlossene Kunstförderung auch war – die chronischen Finanzprobleme der Hansestadt torpedieren dessen substantielle Fortsetzung. Während andere Bundesländer immer noch bis zu zwei Prozent der investiven öffentlichen Baugelder für Kunst im öffentlichen Raum bereit stellen, hat sich Bremen von dieser Richtlinie längst verabschiedet.
Trotzdem ist es jetzt europaweit die erste Stadt, in der sich öffentliche Kunstwerke bewegen dürfen. Kranführer und Schwerlastfahrer sind derzeit viel beschäftigte Leute, zumal auch vor Großformaten wie Peter-Jörg Splettstössers „Dialog“-Findlingen in den Wallanlagen nicht Halt gemacht wird. Vor dem Bahnhof ist bereits Panamarenkos raumgreifendes „Raumschiff General Spinaxis“ gelandet, nur Gerhard Marcks „Bremer Stadtmusikanten“, die alle Touristen mitten auf dem Marktplatz vermuten, bleiben in ihrer Ecke hinterm Rathaus versteckt.
„was bleibt – was kommt“: Der zur Zeit tagende Jubiläums-Kongress würdigt beileibe nicht nur das „Am Anfang war Bremen“ (so der Titel des Beitrags von Lothar Romain, Präsident der Berliner Universität der Künste), sondern verhandelt als „kritische Zwischenbilanz“ auch die Zeitge-mäßheit der Stadtmöblierungs-Konzeptionen. Dazu zeigt die Städtische Galerie Stadtutopien („No Art – No City!“) und das kommunale Kino die entsprechenden filmischen Entwürfe wie Michael Glawoggers „Megacities“. Henning Bleyl
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen