Sterben und leben lernen

Ehrenamtliche Arbeit im Hospiz ist hart: Wer hier „gast-nah“ arbeitet, erlebt die letzten Tage der PatientInnen, ist für sie da – und muss verkraften, wie sie ihr Ende hinnehmen. Oder auch nicht. Von Wut bis Glück ist an Emotionen da alles dabei

Bremen taz ■ Bei ihrem ersten Mal war Christa Osterbrink unsicher und aufgeregt. Sie hatte Angst. „Und andererseits war es auch schön, was ich da so erlebt habe. Fast wie eine Geburt.“ Da hatte Christa Osterbrink zum ersten Mal in ihrem Leben einen Menschen sterben sehen. Sie war dabei, sie hat ihn begleitet. Christa Osterbrink ist ehrenamtliche Mitarbeiterin im Hospiz Brücke. In die Gründerzeitvilla am Waller Park kommen die Menschen, um zu sterben. Alle sind sie schwerstkrank. „Präfinal“ heißt ihr Zustand im Medizinerdeutsch. Das heißt wortwörtlich übersetzt „vor dem Ende“. Vor dem Ende, vor fast jedem Ende ist immer noch einiges übrig, was zu sagen ist. Zu erledigen bleibt. Dinge, die vielleicht jeden Tag zu sagen oder zu tun wären, deren Wichtigkeit aber erst klar wird, wenn nicht mehr ewig Zeit ist. Sondern nur noch Tage. Dann endlich zieht die todgeweihte Patientin ihre Stöckelschuhe an, malt sich die Lippen rot, schmückt sich mit funkelnden Klunkern an Ohren und Armen und trinkt im Garten Sekt. Morgens um zehn, und das jeden Tag. „Es ist mir noch nie so gut gegangen“, sagt sie und weiß, dass das nicht lange währt.

Aber es geht ihr in diesen Tagen nicht immer gut. Sie hat Angst, sie ist wütend, sie weiß nicht, was kommt, wenn nichts mehr kommt. Dann ist es gut, wenn jemand da ist: die Ehrenamtlichen. Der Pflegeschlüssel im Hospiz ist gut, aber für Gespräche, fürs Spazierengehen, dafür, nochmal einen Ausflug in den Rhododendronpark zu organisieren, oder dafür, einfach nur da zu sein – für all das hat das feste Personal, das sich um die intensive Pflege der Kranken kümmert, nur begrenzte Zeit. Deshalb arbeiten 18 bis 20 ehrenamtliche MitarbeiterInnen – die meisten sind Frauen – im Hospiz mit. „Wir können noch mehr brauchen“, sagt Kerstin Müller, die die Freiwilligen-Arbeit im Hospiz Brücke koordiniert.

Längst nicht jeder arbeitet „gast-nah“, wie es haus-intern heißt, ist also zusammen mit den sterbenden Menschen. Es gibt auch einen Haufen „gast-ferne“ Tätigkeiten, Telefondienst, dies und jenes in der Verwaltung. Und längst nicht jeder kommt in die Sterbebegleitung. „Wir gucken uns die Leute sehr gut an“, sagt die Hospizleiterin Monika Foppe. Ein Hospizkurs, der 50 bis 100 Stunden dauern kann, ist Voraussetzung. Hier erfahren die Interessierten, ob der Umgang mit dem Tod wirklich das ist, woraus ihr Ehrenamt bestehen soll.

„Meine Eltern sind früh gestorben. Ich konnte mich nicht verabschieden“, erzählt Joel Koepsel, auch sie eine Ehrenamtliche, „das ist mein Motor.“ Soviel Engagement für ein Tabu-Thema kommt nicht immer gut an. Joel Koepsel berichtet von ihrem ersten Abend im Hospiz-Kurs und wie sie dann nach Hause kam in ihre WG auf dem Land, „die waren gerade beim Grillen“. Sie erzählte dort von dem Kurs und ihrer Begeisterung – und merkte, dass sie damit irgendwie stört.

Ihren Eifer hat das nicht gebremst. „Für mich ist es eine schwere Arbeit. Aber sie gibt mir sehr viel.“ Sie erzählt von dem großen Thema Distanz und Nähe. Wie ihr mancher Tod sehr nahe geht. Wie sie abends zu Hause nochmals eine Kerze anzündet, um ganz allein für sich Abschied zu nehmen.

Wieviel Zeit die MitarbeiterInnen im Hospiz verbringen, entscheiden sie selbst. An zwei Tagen die Woche je zwei Stunden, schätzt Christa Osterbrink ihren Einsatz im Schnitt. Wenn die Mutter zweier Kinder „in einer Sterbebegleitung ist“, wie die Betreuung der HospizpatientInnen haus-intern heißt, dann öfter.

Auch Christa Osterbrink mag die Ruhe im Hospiz. Es sei wichtig, sich auf die Bedürfnisse der Patienten einlassen zu können. Niemandem fällt der Abschied leicht. „Aber wenn die Patienten merken, dass sie hier angekommen sind, können manche von ihnen leichter loslassen“, sagt Leiterin Foppe. Andere können das nicht. Sie sind wütend, im Groll mit ihrer Krankheit, mit sich, der Familie, dem Rest der Welt. „Das darf sein“, sagt Ehrenamtlichen-Koordinatorin Müller. Regelmäßige Supervision hilft den HelferInnen, mit den verschiedenen, oft extremen Gefühlslagen umzugehen. Niemand im Hospiz ist bis zu seinem letzten Moment zu irgend etwas gezwungen. Die Betreuung durch ehrenamtliche Mitarbeiter, so Kerstin Müller, „ist ein Angebot. Jemand kann es annehmen und er hat das Recht, es zu lassen.“ Für die Ehrenamtlichen aber sei es „Lernen für das eigene Leben.“ Susanne Gieffers