Sechs Ecken für nachhaltige Landwirtschaft

Vor zwei Jahren hat das staatliche Biosiegel dem Etikettenschwindel in deutschen Supermärkten ein Ende gemacht. Aber die boomenden Jahre sind vorbei. Überkapazitäten verhindern Rekordwachstum der Naturkostbranche

Verbraucherschützer halten es für eine der größten Errungenschaften der rot-grünen Bundesregierung: das Biosiegel – sechseckig, grüne Kanten und ein fettes „Bio“ in der Mitte. Seit zwei Jahre prangt es auf immer mehr Produkten. Über 17.000 zählt das Verbraucherministerium von Renate Künast (Grüne) derzeit; 868 Unternehmen zeichnen ihre Waren damit aus – und täglich werden es mehr.

Der Erfolg des Labels gründet sich auf den größten Lebensmittelskandal der Nachkriegszeit: die BSE-Krise 2001 und 2002. Menschen starben an der als Rinderwahnsinn bekannt gewordenen Kreutzfeldt-Jakob-Krankheit, hunderttausende Rinder mussten notgeschlachtet und verbrannt werden.

All dies bescherte der Biobranche einen ungeahnten Wachstumsschub. Noch 2002 legten Bioprodukte um zehn Prozent zu – geschuldet dem Wunsch nach Lebensmitteln, die nicht mit Hormonen, Antibiotika, Pestiziden und künstlichen Aromen voll gepumpt sind.

Viele Hersteller drangen daraufhin mit vermeintlichen Bioprodukten auf den Markt. Was fehlte, war Orientierung für die Konsumenten. Das Siegel hat dem Biowildwuchs ein Ende gesetzt. „Wo Bio draufsteht, ist Bio drin“, verspricht Künast.

Grundlage des Biosiegels ist die EG-Öko-Verordnung 2092/91. Sie verbietet etwa, Lebensmittel zwecks Haltbarmachung zu bestrahlen und verlangt artgerechte Tierhaltung und Fütterung. Gentechnisch veränderte Produkte oder der Einsatz von Chemikalien sind mit dem Biosiegel ebenfalls nicht zu vereinbaren.

Vertreter der etablierten Biomarken wie Bioland, Demeter oder Neuland halten die Richtlinien zwar für nicht streng genug. Aber auch sie haben sich fleißig für das Biosiegel registrieren lassen. Für die meisten unter ihnen stellt die EG-Verordnung keine Hürde dar – im Gegenteil: Ihre Ansprüche sind höher. So wächst ein Naturlandschwein mit Futter auf, das nur 15 statt 20 Porzent konventionelle Bestandteile hat. Bei Demeter wird nur geerntet, wenn der Mond richtig steht.

Der überraschende Markterfolg der Biobranche hat auch seine Schattenseiten. Auf das Boomjahr 2002 folgten nur zwei Prozent Wachstum im ersten Quartal 2003. Das ist zwar immer noch überdurchschnittlich. Aber die Biobauern haben im Jahr zuvor Überkapazitäten in der Hoffnung auf steigenden Umsatz geschaffen, für die sie im Naturkostladen heute keine Abnehmer mehr finden.

Der Milchbetrieb im Ökodorf Brodowin bei Berlin etwa muss überschüssige Milch zum Teil unter dem Herstellungspreis an konventionelle Abfüller verkaufen. Im für ihn besten Fall wird solche Milch im klassischen Supermarkt unter hauseigenen Etiketten wie Biowertkost (Edeka) oder Füllhorn (Rewe-Handelsgruppe) verhökert. Auch diese Marken arbeiten mit dem staatlichen Biosiegel. Doch es kommt auch vor, dass teuer produzierte Biolandmilch ungekennzeichnet im Kühlregal landet.

Dass Bioware im Schnitt ein Drittel mehr kostet als konventionelle Produkte, ist nach einer Untersuchung der Verbraucherzentrale nicht mehr allein ausschlaggebend für die gehemmte Kauffreude der Verbraucher. Viel hängt demnach vom Faktor Zeit und von der Erreichbarkeit der Waren ab. Erst dann kommt der Preis als Argument ins Spiel.

TDE/KBU

www.bio-siegel.de