Dialog statt Spektakel

Das KULTURJAHR der ZEHN holt im Rahmen des Berliner Kunstherbstes künstlerische und intellektuelle Stimmen der zehn EU-Beitrittsländer auf eine breite Bühne und stellt sie zur Diskussion

von PAULA BÖTTCHER

Neue Nachbarn möchte man kennen lernen. Umso besser, dass die EU-Beitrittsländer sich von Mai 2004 bis Mai 2005 im KULTURJAHR der ZEHN vorstellen und in einen Dialog untereinander und mit deutschen Partnern eintreten. Obwohl das Kulturjahr vom obligatorischen Positivismus getragen wird und sich einreiht in den Reigen der aus dem Boden geschossenen, weil subventionierten „Erweiterungsprojekte und -projektchen“, ist es ein beachtens- und achtenswerter Versuch. Weil er auf Kultur(en) setzt. Und auf deren Dialog.

Auf Kulturdialog setzten sowohl die „Neuen“ als auch der Westen bislang wenig. Dem Bestreben, sich möglichst schnell im Rahmen der westlichen (Kultur-)Industrie zu etablieren oder die Plätze am Kuchen zu sichern, gab man den Vorrang. Auch Berlin trägt seinen gern zitierten Eigenschaften als „Schmelztiegel der Kulturen“ oder „Tor zum Osten“ leider zu selten Rechnung und nutzt die ihr inneliegenden Möglichkeiten kaum. Das KULTURJAHR versucht, die erwähnten Lücken zu füllen, indem es künstlerische und intellektuelle Stimmen der ZEHN auf eine breite Berliner Bühne holt und zur Diskussion stellt.

Es begann im Mai mit zahlreichen und reichhaltigen Veranstaltungen aus Film, Theater, Musik und Tanz. Im bevorstehenden KUNSTHERBST legt es unter dem Motto „Erweiterung ist mehr Bildende Kunst“ nach: Am 3. September findet der „Galerienrundgang der Zehn“ statt. Mit Mühe scheint man hier zehn Berliner Galerien überredet zu haben, einen Künstler aus einem der Beitrittsländer anzunehmen zu präsentieren. Gegenleistung: Kunstherbst-Publicity und das Wohlwollen der Konrad-Adenauer-Stiftung, in welcher der Rundgang mit einer Diskussion unter dem Titel „Nationale Charakteristika des Kunstmarktes im erweiterten Europa“ eingeläutet wird – obwohl es kaum einen Markt in diesen Ländern gibt. Dennoch kann dieser Rundgang eine Alternative zum üblichen hip-trivialen Berliner Szenerummel darstellen. Zumal er als ungewöhnlicher Dialog im sonst von Konkurrenz bestimmten Kunstbetrieb angelegt ist: Jene Berliner Galerien kooperieren direkt mit den Galerien der Künstler in den jeweiligen Ländern.

Dass sich allerdings etablierte Galerien an solchem Brückenbau-Spiel nicht beteiligen, liegt auf der Hand – sie müssen sich auf den bald folgenden „Internationalen Kunstmarkt“ Berlins konzentrieren. Denn und obwohl in allererster Linie westlich dominierte Verkaufsveranstaltung, kommt das Art Forum seiner einst begonnenen wohlwollenden Pflicht der Offenheit nach Osten weiterhin nach und veranstaltet am 19. September einen „Kulturjahr-Talk“. Von einer Gesprächsrunde aus kompetenten ost- und mitteleuropäischen Kunstexperten wird man wieder viel Neues und Wissenswertes über die „Kunst in der EU – Zwischen Markt und Institution“ erfahren können. Das Gespräch ist der Auftakt einer Reihe von Diskussionsveranstaltungen zu substanzielleren Themen, die das KULTURJAHR in diesem Herbst organisiert.

Eine Ausstellung namens „E.U.positive“, die von Matthias Flügge und Eckhart Gillen kuratiert und am 18. September in der Akademie der Künste eröffnet wird, scheint spannend und interessant zu werden. Kuratoren und nicht nach spekulativer Selektion klingende Künstlerliste versprechen, „den Betrachter mit einer illusionslosen sarkastischen Bestandsaufnahme der Gegenwart“ zu konfrontieren. Künstler aus den acht Beitrittsländern des ehemaligen Ostblocks thematisieren den doppelbödigen Alltag in den postsozialistischen Ländern und die surrealen Aspekte des Transformationsprozesses, die da heißen: „Manchester-Kapitalismus“, Migrationsströme, ethnische Minderheiten und poststalinistische Strukturen und Mentalitäten.

Reale Aspekte eines westlichen Aneignungsprozesses, die da heißen könnten: Institutionalisierung der Ungleichheit, ethnische Konflikte und Diskriminierung sowie neoliberale Strukturen und Korruption werden hoffentlich von Künstlern einer anderen KULTURJAHR-Ausstellung behandelt, die am 28. September im Abgeordnetenhaus eröffnet wird. Unter dem Titel „ZEHN Neue für Europa“ präsentiert sich dem Publikum eine Sammlung von Karikaturen, welche hoffentlich nicht nur erheiternd, sondern auch erhellend und subversiv sein werden. Und das nicht nur für die Ausstellungsbesucher.

Bevor sich das KULTURJAHR der ZEHN mit der Fotokunstausstellung „Bitte Lächeln, Aufnahme!“ im Martin-Gropius-Bau in die Winterpause verabschiedet, wird man sich mit einem Lächeln noch einmal der vielen bunten Erweiterungsfeuerwerke erinnern und gemeinsam die „Ode an die Freude“ anstimmen. Ode an welche Freude eigentlich? Im allgemeinen Freudentaumel sollte man nicht vergessen, dass uns die Gegenwart Europas und der Welt mehr als Spektakel abverlangt. Auch und gerade von der Kultur. Sie ist nach wie vor und gerade jetzt als eine politische Kultur vonnöten. Dass auch das KULTURJAHR der ZEHN dies zu realisieren weiß, bleibt zu hoffen.

www.kulturjahrderzehn.de