Gesellschaft für bedrohte Völker bedroht

Tilman Zülch setzt sich für ein „Zentrum gegen Vertreibung“ ein. Göttinger Linke werfen ihm deshalb Revanchismus vor

GÖTTINGEN taz ■ Vermutlich war Tilman Zülch, Generalsekretär der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ (GfbV), ganz froh, dass er am Wochenende in Srebrenica war. So blieb es ihm erspart, sich den „Tilman Zülch, du alte Sau!“-Sprechchören der 150 Demonstranten zu stellen, die sich am Samstag vor der Göttinger Zentrale der GfbV eingefunden hatten, um gegen die „völkische Politik“ Zülchs zu protestieren. Zu der Kundgebung hatte die „Autonome Antifa [M]“ aufgerufen.

Der Vorwurf: Zülch und die GfbV relativieren NS-Verbrechen, indem sie die Deutschen als die eigentlichen Opfer des Zweiten Weltkrieges darstellen. Das zeige sich etwa daran, dass Zülch Mitglied der „Stiftung Zentrum gegen Vertreibung“ ist. Diese wurde vom „Bund der Vertriebenen“ ins Leben gerufen, um Lobbyarbeit zugunsten einer Gedenkstätte für die nach dem Zweiten Weltkrieg vertriebenen Deutschen zu betreiben – ein Projekt, das die radikale Linke, in deren Flugblättern nie von „Vertreibungen“, sondern stets von „Umsiedlungen“ die Rede ist, für revanchistisch hält. Die Antwort der GfbV: Sie hängte an ihre Fassade ein Großtransparent mit dem Text „14 Millionen Vertriebene 1945–1947“.

Es ist nicht das erste Mal, dass der GfbV vorgeworfen wird, rechts zu stehen. Vor allem, weil sie sich schon in ihren Namen auf „Völker“ bezieht, ist sie für die radikale Linke von jeher ein rotes Tuch. Zugleich erhält sie gelegentlich Beifall vom rechten Rand, zuletzt etwa von der rechten Postille Junge Freiheit.

Tilman Zülch mag die GfbV weder rechts noch links verorten. Den Demonstranten wirft er indes vor, selbst „auf einem Auge blind“ zu sein: „Die Antifa sympathisiert eher mit Slobodan Milošević als mit den 200.000 ermordeten Bosniern“, erklärte er am Tag vor der Demo. Dass er nun mit dem „Bund der Vertriebenen“ für ein „Zentrum gegen Vertreibung“ kämpft, ist für ihn eine Selbstverständlichkeit: Erst die weitgehende Verdrängung der Deutschen-Vertreibung habe dazu geführt, dass das Leid der Opfer aktueller Vertreibungen „vom Tisch gewischt“ werde, schrieb Zülch, als die GfbV sich im August für das „Zentrum gegen Vertreibung“ aussprach. Auch die Europäisierung eines solchen Zentrums, zuletzt vom SPD-Politiker Markus Meckel ins Spiel gebracht, lehnt Zülch ab: „Das hat so lange keinen Sinn, wie zum Beispiel die tschechische Regierung bis heute an den Beneš-Dekreten festhält“, sagte er der taz im Gespräch.

„Schlagt die Sudeten mit Beneš-Dekreten“, skandierten dagegen die Demonstranten am Samstag, und brachten damit die Differenzen auf den Punkt. Auch für sie ist eine Europäisierung des Projekts inakzeptabel, allerdings aus entgegengesetzten Gründen: Meckels Vorstoß halten sie für eine Finte, weil er die wahren deutsch-revanchistischen Interessen bloß vertusche.

YASSIN MUSHARBASH