berliner szenen Ernten statt ausgehen

Saatgut und Sandmann

Mit dem Sandmann steht die Stadtboheme ebenso schlecht wie mit dem Saatgut. Schlafen gilt zwischen Myszliwska und Kingkong Club als uncool. Und die Ankündigung, irgendwann aufs Land zu ziehen, wird vom Freundeskreis gerne als „Verrat“ eingestuft.

Doch gerade weil die schöpferische Intelligenz nicht schläft, fallen ihr immer neue Ideen ein, wie sie über die Runden kommt. In diesem Herbst geht die Berliner Boheme ernten. Katharina ist ehemalige PR-Frau eines Charlottenburger Off-Kinos. Sie fährt Freitagnacht in den Spreewald.

„In den Spreewald!“, ruft der versammelte Freundeskreis, als sie davon an ihrem Geburtstag erzählt. „Kartoffelernte“, erzählt Katharina. „Zwei Wochen arbeite ich durch, von morgens sieben bis abends sieben.“ Dem Freundeskreis leuchten ihre Argumente ein, man tue was für den Körper, ohne Eintritt zahlen zu müssen. Ganz im Gegenteil, Geld verdiene man mit der Landarbeit, und man habe nur geringe Möglichkeiten, es an Ort und Stelle gleich wieder auszugeben.

„Ich übrigens auch!“ – Jon löst Katharina ab. „Freitag fahre ich für zehn Tage ins Badische. Die Nachbarn meiner Eltern bringen die Äpfel ein.“ Zwar werde ihm jetzt schon schlecht, wenn er an seinen Rücken denke, an das Sichrecken und -bücken, tagein, tagaus. Doch auf den Wiesen der Fruchtplantage dufte es im Spätsommer, während es in den Fitness-Studios bekanntlich nur rieche.

Erschöpft und zufrieden falle man abends ins Bett, in der linken Nasenscheidewand noch ein kleines Partikelchen „Moos des Boskop-Baumstammes“ lokalisierend. So schließt die Großstadt-Intelligenz in diesem Herbst ihren Frieden mit Saatgut und Sandmann.

CHRISTOPH BRAUN