Mythos Olympia

Ein Wuppertaler Schuldirektor räumt in seinem Buch mit Vorurteilen über die Olympischen Spiel auf

WUPPERTAL taz ■ Ein bisschen muss sich Karl-Wilhelm Weeber wie Don Quichotte vorkommen. Nicht dass der Direktor des Wuppertaler Wilhelm Dörpfeld-Gymnasiums ein weltfremder Idealist wäre. Im Gegenteil. Trotzdem kämpft der Historiker gegen die Windmühlen der Geschichtsklitterung an. In seinem Buch „Die unheiligen Spiele“ räumt er auf mit allerlei Mythen und Legenden, die sich um die Olympischen Spiele der Antike ranken. Gefördert nach Meinung Weebers vor allem von Multiplikatoren wie Sportfunktionären und Leitartiklern. „Mich ärgert zum Beispiel, wenn sich ZDF-Sportchef Wolf-Dieter Poschmann im Fernsehen beim Stichwort Olympischer Frieden vergaloppiert. Den hat es gar nicht gegeben. Es gab während der Spiele in der Antike lediglich einen Waffenstillstand“, sagt Weeber.

Zwar waren die Spiele der Griechen dem obersten Gott Zeus gewidmet, einen heiligen Charakter hatten sie nach den Recherchen des Historikers deshalb noch lange nicht. Idealisierte Amateursportler mag es heute bei Olympischen Spielen vereinzelt geben, damals nicht. In der Antike ging es vor allem um Ruhm und Ehre und der damit verbundenen wirtschaftlichen Absicherung des Athleten. Zwar sind Dopingfälle nicht überliefert, aber es gab andere illegale Tricksereien, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Das gern verbreitete Bild von ehrlichen Wettkämpfen entzaubert Weeber mit amüsanten Anekdoten. Zum Beispiel die über den Athleten Leontiskos, der Mitte des 5. Jahrhunderts beim olympischen Ringkampf – neben Wagenrennen und Pankration (griechischer Faustkampf) beliebtester Zuschauersport – seinem Kontrahenten so lange die Fingerspitzen brach, bis dieser aufgab.

„Der Fairneßgedanke ist kein antikes Ideal, sondern kommt aus dem englischen Fußball des 19. Jahrhunderts“, sagt Weeber. Zwar überwachten die Hellandoniken (Kampfrichter) die Abläufe, doch im Fall von Leontiskos drückten sie offensichtlich mehr als ein Auge zu. „Es gibt Quellen, die auf korrupte Schiedsrichter verweisen, verbreiteter war das Bestechen von Rivalen und das Abwerben erfolgreicher Athleten anderer Städte“, weiß Weeber, der seine Erkenntnisse aus lateinischen Schriften in satirischen Dichtungen und archäologischer Literatur gewinnt.

Überlegungen von Helmut Digel, Vizepräsident des Internationalen Leichtathletikverbandes, die zahlreich überführten Dopingsünder von Athen nicht nur zu sperren, sondern auch finanziell zu belangen, wurde bereits in der Antike praktiziert. Athleten, die massiv gegen Wettkampfregeln verstießen oder als feige galten, wurden empfindlich zur Kasse gebeten oder mussten zu Ehren Zeus Standbilder finanzieren, die als Abschreckung dienen sollten.

Vom Motto „Dabeisein ist alles“ konnte auch keine Rede sein. Dafür stand zu viel auf dem Spiel. Sozialer Aufstieg und politische Macht zum Beispiel. Anders als heute, verblasste der Ruhm nicht mit den Jahren, sondern hielt bis zum Lebensende an. Wer siegte, gehörte zum Establishment und erhielt nicht selten die Ehrenbürgerrechte. „Umgekehrt schlichen Verlierer nach ihrer Rückkehr meist wie geprügelte Hunde durch dunkle Gassen“, erzählt Weeber.

Dazu gehört auch, dass er dem Bild muskulöser Körper durchtrainierter Athleten, wie man sie von Statuen und Abbildungen kennt, eine Absage erteilt. Natürlich gab es sie, doch die Realität sah meist anders aus. Da ist von übermästeten Fleischkolossen, eingeschlagenen Zähnen und wenig zimperlichen Boxern die Rede, die einen stundenlangen Kampf auf ihre eigene Art beendeten – mit dem Herausreißen der Eingeweide des Kontrahenten. THOMAS BESCHE

Karl-Wilhelm Weeber: „Die Unheiligen Spiele“, Düsseldorf/Zürich, 9,95 Euro