beim zeus
: Den Kopf runtergenommen

FRANK KETTERER über den Kampf des Indianerboothäuptlings Andreas Dittmer, der am Ende doch noch Gold gewann

Ein Indianer, das weiß man spätestens seit Karl May, kennt keinen Schmerz. Und wenn er ihn doch mal spürt, dann verzieht er keine Miene, sondern leidet still, damit die gegnerischen Indianer keinen Wind davon bekommen, wie leicht könnten sie es ausnutzen, Indianer kennen da nichts. Andreas Dittmer aus Neubrandenburg firmiert bisweilen als der schnellste Indianer der Welt, was einen guten Grund hat: Fünf Jahre lang, seit der Weltmeisterschaft 1999 in Mailand, hatte der 32-Jährige in seinem Canadier kein wichtiges Rennen über 1.000 Meter mehr verloren. 1996 und 2000 war er Olympiasieger auf seiner Spezialstrecke geworden. Dittmer, so könnte man sagen, war also nicht nur ein Indianer, sondern der Häuptling der Indianerbootfahrer.

Dann kam Athen, wieder Olympia. Dittmer fuhr die 1.000 Meter so schnell wie noch nie in seinem Leben – und wurde Zweiter. Nur Zweiter, wie das bei ihm wohl heißen muss, jedenfalls wurde er vor dem Rennen nicht nur von der taz als Deutschlands sicherste Goldmedaille gehandelt. Und auch er selbst hatte nur dafür trainiert.

Das olympische Rennen war also aus, aus, aus – und Dittmer kniete noch immer in seinem Boot. Das sieht immer sehr elegant aus bei ihm, majestätisch fast, auf jeden Fall stolz, sehr stolz. So war das auch jetzt, als er auf dem Wasser verharrte. Aber wer Andreas Dittmer ein bisschen besser kennt, der weiß, wie sehr er da vor sich hin litt. Leise, still und heimlich, so wie Indianer das eben tun. Später am Tag sagte Dittmer: „Ich habe innerlich ein paar Tränen verdrückt. Aber ein Mensch ist eben keine Maschine.“ Das alles war am Freitag.

Dann kam der Samstag, wieder kniete sich Dittmer in sein Boot, das so schmal ist wie eine Dachrinne, 500 Meter galt es diesmal zu paddeln. Andreas Dittmer ist auch auf dieser Distanz amtierender Weltmeister, aber er mag sie nicht, jedenfalls nicht so wie die 1.000. Er sieht sich mehr als Ausdauertyp denn als Sprinter, die 500 Meter sind ihm zu hektisch und zu unwägbar. Man kann dort Siege nicht planen, schon gar nicht bei der Enge in der Weltspitze. „Das ist nur Augen zu und durch“, sagt Dittmer.

Das Rennen ging also los – und Dittmer lag bald zurück. In der Mitte waren es schon zwei Sekunden auf den führenden Russen Maxim Opalew, den großen Favoriten, und Platz vier. Zwei Sekunden sind eine Welt, ach was: eine Galaxie. Zwei Sekunden sind auf jeden Fall nicht aufholbar. Der Häuptling würde schon wieder von den anderen Indianern besiegt werden.

Ein Häuptling gibt nicht auf. Das weiß man nicht von Karl May, sondern seit diesem Samstag in Athen von Andreas Dittmer. Ein Häuptling kämpft. Als jedenfalls alles vorbei schien und der Traum vom dritten Olympia-Gold endgültig geplatzt, ging das Rennen von vorne los. Dittmer war nicht bereit, sich geschlagen zu geben, er begann sich zu wehren. Er erhöhte die Frequenz und paddelte und paddelte und paddelte. Es war der große Kampf des Häuptlings – und vielleicht war es der größte Kampf überhaupt, den diese Spiele in ihrem Repertoire hatten. 150 m vor dem Ziel war Dittmer wieder dran. „Da wusste ich, dass noch was geht“, sagte er später. „Ich habe den Kopf runtergenommen, der Rest war nur noch Wille und Kampf. Es war eine Trotzreaktion. Ich bin mit Wut im Bauch ins Rennen gegangen, weil es auf meiner Strecke nicht geklappt hatte.“ Dittmer sagte auch: „Ich wollte alles versuchen, egal ob ich im Ziel vor Erschöpfung ins Wasser falle.“ Aber, und auch das weiß man seit Samstag: Ein Indianer fällt nicht ins Wasser. Und ein Häuptling schon gleich gar nicht.