Entführer drohen mit Geiselmord

Nach der Verschleppung zweier französischer Journalisten im Irak fordern die Kidnapper von der Regierung in Paris, das „Kopftuchverbot“ an Schulen aufzuheben. Eine Krisensitzung folgt auf die andere. Auch der Muslimrat wird einbezogen

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Lange wähnten die Franzosen ihre Landsleute im Irak in Sicherheit vor Geiselnahmen. Wegen der Pariser Position gegen den Krieg. Seit Samstag ist klar, dass die Mörder, die unter dem Signum einer „Islamischen Armee“ auftreten, dergleichen diplomatische Rücksichtnahmen nicht kennen. Am Tag, nachdem sie den Italiener Enzo Baldoni töteten, strahlte der katarische TV-Sender al-Dschasira ihre neueste Erpressung aus: Wenn die Regierung in Paris nicht binnen 48 Stunden das „Kopftuchverbot“ an der Schule rückgängig macht, wollen sie zwei französische Journalisten ermorden.

Christian Chesnot (rfi und andere Radiosender) und Georges Malbrunot (Figaro und andere Printmedien) hatten zuletzt am 19. August Kontakt mit ihren Redaktionen in Paris. Anschließend wollten sie sich auf den Weg von Bagdad nach Nadschaf machen.

Das Al-Dschasira-Video ist ihr erstes Lebenszeichen. Es zeigt die Franzosen vor dem Hintergrund des bereits durch Baldoni bekannten schwarzen Transparentes mit der arabischsprachigen Aufschrift „Islamische Armee“ und mit einem Maschinengewehr. Auf Arabisch teilt Chesnot mit, sie seien „bei der Islamischen Armee“. Auf Französisch versichert Malbrunot seiner Familie, es gehe ihnen gut.

In Paris veranstaltete Premierminister Jean-Pierre Raffarin gestern mehrere Krisensitzungen mit dem Außen- und dem Innenminister. Letzterer empfing zwischendurch die Spitzen des 2003 gegründeten „Muslimrates“. Anschließend erklärte Minister Dominique de Villepin: „Wir wollen alle gemeinsam die Befreiung unserer beiden Journalisten. Wir in Frankreich haben eine bestimmte Idee vom Laizismus, die in der arabischen Welt manchmal falsch verstanden wird. Aber bei uns hat sie Jahrhunderte von Kriegen und Konflikten beendet. Sie garantiert jedem seine religiöse Freiheit. Und zugleich die Neutralität des republikanischen Staates.“

Die Sprecher der muslimischen Gemeinde in Frankreich zeigten sich entsetzt. Mehrere appellierten an die Öffentlichkeit, die Entführer nicht mit gläubigen Muslimen zu verwechseln. Im Frühling hatten in der arabischen Welt und in Frankreich Glaubenswächter gegen das damals in Vorbereitung befindliche Gesetz protestiert, das das Tragen von sämtlichen religiösen Symbolen im Unterricht – Kopftuch, Kipa und Kreuz – verbietet. Auch die fundamentalistische französische Organisation UOIF. In dieser Woche beginnt das neue Schuljahr, und das Gesetz tritt in Kraft. Gestern erklärte UOIF-Chef Fouad Alaoui, der „französische Islam ist eine französische Angelegenheit“ und verurteilte die Geiselnahme „ohne Wenn und Aber“.

Die beiden entführten Journalisten, die zusammenleben, arbeiten seit langem in der arabischen Welt. Anfang 2003 veröffentlichten sie ein Buch über Saddam Hussein. In einer Radiodebatte vor dem Krieg gegen den Irak erklärte Chesnot: „Wenn es zum Krieg kommen sollte, werden wir alle einen hohen Preis bezahlen. Die ganze Welt.“

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