Der Turmbau zu Dubai

Dubai soll zur Weltmarke werden, zum Inbegriff nahöstlicher Avantgarde, dabei zutiefst muslimisch

aus Dubai JOCHEN FÖRSTER
(Text) und ROMAN SCHRAMM (Fotos)

Nada al-Schamma hat volle, rot geschminkte Lippen, die erinnern an Orientfilme in Technicolor und lächeln permanent auf gewinnende Weise. Nada trägt die Abbaja, den traditionellen schwarzen Umhang der Frauen, der verrutscht manchmal und lässt schicke Stoffe darunter erahnen. Nada ist 26. Aus reicher Familie. Unverheiratet. Nach eigenen Angaben „natürlich noch“ Jungfrau. Und: Nada will Erfolg, lieber gestern als morgen. Sie managt eine Shopping Mall, die im Herbst 2004 öffnet und dann den größten Shopping-Park der Welt beherbergen soll sowie den größten Indoor-Irrgarten. An Deutschland mag sie vor allem Neuschwanstein. Nada passt perfekt nach Dubai, ihre Heimat, ihr Märchenland.

Dubais Märchen, sagt Nada, geht ungefähr so: Ein winziger arabischer Wüstenfleck, gerade 60 mal 60 Kilometer groß, war vor Zeiten durch Öl zu viel Geld gekommen. Als die alten Quellen allmählich versiegten, sannen die Scheichs nach neuen. Sie beschlossen, ein neues Paradies zu bauen, einen Weltrekord nach dem anderen aufzustellen und so Millionen Menschen aus aller Welt anzulocken. Am allerliebsten die Reichsten und Mächtigsten. Und jeder Wunsch ward ihnen erfüllt.

Ein schönes Märchen – nur dass es keins ist. Es ist vollkommen wahr.

Die Uhren ticken anders in Dubai, seit Jahren schon. Die Weltwirtschaft stagniert – Dubai meldet Jahr für Jahr Boomzahlen. Die Welt fliegt weniger – Emirates Airlines beschert Airbus den größten Auftrag in der Geschichte der zivilen Luftfahrt. Die Welt baut weniger Wolkenkratzer – in Dubai entsteht einer nach dem anderen. Die Welt spart beim Reisen – vor Dubais Küste ragen die größten künstlichen Inseln in Palmenform aus dem Meer, Durchmesser 5,5 und 7,5 Kilometer, Kosten: 8 Milliarden Dollar; Funktion: Ferienparadies. Nicht zu vergessen das Burj al-Arab, der Welt teuerstes Hotel, 321 Meter hoch, 1.200 Angestellte, 200 Suiten, Vorbote des neuen Dubai, Wahrzeichen und Leitbild. Dieses Jahr kommen voraussichtlich fünf Millionen Touristen. In fünf Jahren rechnet man mit doppelt so vielen.

Anfang September geht in Dubai der Sommerschlaf zu Ende. Die Luft ist weniger schwül, nur noch 40 Grad, das Meer hat immer noch an die 35. Wüstensafaris, Golfplätze, Wasserparks mit Riesenrutsche und klimatisierten Räumen zur Abkühlung füllen sich langsam, auch die Herrscherfamilie al-Maktum ist samt Falken und Pferden aus dem Urlaub in Genf und Ascot zurück. Auf den Straßen herrscht Betriebsamkeit vor dem großen Termin. „Wir sind alle sehr stolz“, erklärt Nada. Auf das, was ihr Land erreicht hat und nun der Welt vorführen kann: bei der Jahrestagung von IWF und Weltbank, die heute beginnt. Darauf, dass endlich die Mächtigsten kommen, 15.000 von ihnen aus 184 Ländern, darunter Finanzminister, Zentralbankchefs und jede Menge Großgeldgeber. Auf Dubais Zukunft, die goldene. Und auf die Scheichs, deren Architekten.

Nada al-Schamma zeigt in Modellen, Werbefilmen, Broschüren das Dubai von morgen. Im Film blickt eine hellhäutige Kleinfamilie, Füße im Wasser, einvernehmlich aufs Meer, dazwischen eingeblendet einzelne Worte: „Extraordinary“. „Vision“. „Escape“. Im Modell: die Palminsel Dschumeira, ein wilder Mix venezianisch-orientalisch-fernöstlicher Baustile. Im „Destination Dubai .03“-Heft schließlich steht ganz genau, wonach die Globalisierungselite sich sehnt, wenn sie Zeit hat: „Saubere Sandstrände ohne Menschenmassen“. „Sonnenschein das ganze Jahr“. „Freundliche, tolerante Gastgeber“. „Null Prozent Kriminalität“. „Shopper’s Paradise“. Und: „Ein Hauch Exotik mit kosmopolitischem Lifestyle“. Die Welt will das, sagt Nada. Die Welt könne das haben. Die Zukunft des Luxus werde hier erprobt.

Dezenz, Gemächlichkeit, schlichter Chic gehören dazu in der Dubai-Definition nicht. Mit den Arbeiten zu „The Palm“ wurde 2000 begonnen, Eröffnung war für 2007 geplant, inzwischen ist 2004 anvisiert. Baubeginn der dritten, luxuriösesten Insel „The World“ soll Ende des Jahres sein, fünf Kilometer weit im Meer sollen 200 Eilande die Weltkarte bilden. Von Australien nach Kanada schippert man dann bequem in ein paar Minuten. In einer Welt, die zuvorderst von der Suggestivkraft selbst geschaffenen Geschäftsklimas abhängt, wird so ein Positivismus natürlich geschätzt. Ein idealerer Tagungsort als Dubai 2003 ist für Weltbank und IWF kaum denkbar. Selbstbewusst. Clever. Modernistisch. Gewalt- und demonstrationsfrei. Ein Exempel für die Vereinbarkeit von Konsumismus und Islam in schwierigen Zeiten.

Zum Luxustourismus gehört Geschäftssinn, über den Dubaier verfügen. Freihandelszonen wie Media City oder Dubai Marina locken Konzernmultis mit null Steuern und niedrigen Baukosten, weil indische Arbeiter zum Minilohn schuften. Dubai soll zur Weltmarke werden, zum Inbegriff nahöstlicher Avantgarde. Noch nie tagten Weltbank und IWF in einem arabischen Land.

Zum „Nichts ist unmöglich“-Märchen gehört ein Spiritus Rector, dessen Bild in Nadas Büro gleich neben dem Eingang hängt. Scheich Mohammed al-Maktum ist Verteidigungsminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Bruder des Herrschers Maktum al-Maktum und Dubais heimlicher Architekt. Mohammed ist diskret und präsent, Motor und Ikone, rastloser Ankurbler des internen Wettbewerbs. Als Nelson Mandela im Frühjahr Dubai besuchte, sagte er abschließend, seinem Eindruck zufolge habe dieses Emirat einen großen Vorteil: Die Bürger liebten ihre Herrscher. Nada hat Scheich Mohammed einmal getroffen. Er habe ihr die Hand gereicht, sagt sie, und sie habe sie nie wieder loslassen wollen.

Zur Realisierung des Märchens gehört Mut – Dubais Märchen ist zutiefst westlich, das Land selbst zutiefst muslimisch. Der Irak liegt im Persischen Golf gegenüber, gleich daneben die Mullahs aus Iran, Bin Ladens Heimat Saudi-Arabien ist direkter Nachbar und die Bin-Laden-Familie einer der großen Bauinvestoren im Land. Bisher blieb Dubai von Krieg, Fundamentalismus, Terror verschont. Trotzdem, der Spagat ist gewagt. Wie kein anderes arabisches Land hat sich Dubai dem „Konsumimperialismus“ des Westens geöffnet. In der Waifi Mall, Dubais Luxusmeile, erwerben Damen mit verschleiertem Gesicht im Chanel-Shop sündhaft teure Handtaschen. Im Stadtbild fallen sie kaum auf, die Dubaier stellen weniger als 10 Prozent der 850.000 Einwohner, Tendenz fallend. Die Hierarchie ist eindeutig: Ganz unten indische Zeitarbeiter, mehr als die Hälfte von Dubais Bevölkerung, in der Mitte Ingenieure, Architekten und Surflehrer aus Europa und dem Rest der Welt, oben Dubaier. Längst gebärden die sich wie Kolonialherren im eigenen Land.

Ein Grund wohl, warum sie sich um familiäre Abschottung bemühen, Mischehen nicht dulden, mit „Nationalisierungsprogrammen“ Einheimische in Schlüsselpositionen hieven, sich das Nachtleben auf Hotels beschränkt. Und warum sie so verzweifelt bemüht sind, ihrem Emirat Geschichte zu implementieren. Bis vor 35 Jahren wohnten hier ein paar tausend Fischer, dann kam das Öl und mit ihm die Scheichs. Jetzt gibt es ein Museum, die Besichtigung der Hand voll alter Häuser wie der Dhow-Boote indischer Bauart steht auf jeder Touristenagenda. Mit Madinat Dschumeira entsteht ein riesiges Urlaubsressort im Stil des „authentischen Arabien“. Nadas Shopping Mall ist den Reisezielen des ruhmreichen Ibn Battuta nachempfunden, Arabiens Marco Polo: Ein Haus soll aussehen wie Kairo im 14. Jahrhundert, eins wie Peking, eins wie Isfahan.

„Die Welt will das“, sagt PR-Frau Nada. Die Welt könne das haben. Die Zukunft des Luxus werde hier erprobt

Es hilft nichts. Dubai bleibt als Ort seltsam gesichtslos, eine Luxusminiatur von Schanghai, nur mit mehr Sand und weniger Schweinefleisch. Ob das schlimm ist, werden die Zahlen zeigen. Mag sein, dass im Luxustourismus von morgen der historische Ort unerheblich ist. Venedig, wusste schon Walt Disney, kann man überall bauen.

Die Sache mit dem Geschmack ist da schon prekärer. Im Jumeirah Beach Hotel, wegen seiner architektonischen Wellenform gepriesen, liefern sich Farbtöne einen Beißwettbewerb. Selbst im Burj al-Arab, auf dessen Parkplatz sich chinesische Touristen neben babyblauen Ferraris fotografieren lassen, ist in der riesigen Eingangshalle kaum eine Farbe nicht vertreten; die vergoldeten Säulen erinnern an Kegel mit Übergewicht.

Um in Dubai kritische Stimmen zu finden, muss man lange suchen. Sultan, der indische Taxifahrer, lebt nicht schlecht, jeden Monat überweise er seiner Frau eine Summe, von der sie daheim erklecklich lebe. Tim, der deutsche Hotelfachmann, schwärmt von Freundlichkeit und Entscheidungsfreude. Und Hussein, der schnurrbärtige Safari-Guide aus Irak, schätzt es, dass die Scheichs Engagement belohnen und Kriminelle bestrafen; in Dubai könne man sich wahrhaft etwas verdienen. Kamira, Stewardess aus Bulgarien, verdient auch gut, über 2.000 Dollar im Monat, keine Steuern, kaum Miete. Die Dubaier hält sie dennoch für kalt, berechnend, rassistisch. Inder würden behandelt wie Ameisen.

Wenn in dieser Woche der Geldadel kommt, interessiert solches Gemurre niemanden. Die Bänker aller Länder werden davon nichts mitbekommen, die Welt vermutlich auch nicht – wessen Name auf der Globalisierungskritiker-Liste auftaucht, der darf nicht einreisen. Und die Dubaier selbst ficht so was gleich gar nicht an. Nada al-Schamma zum Beispiel glaubt weder an Probleme noch daran, dass „unsere Kultur sich ändert“. Nada glaubt an Scheich Mohammed und Allah, an Karrieresprünge und Familienwerte. Dafür schläft sie täglich nur fünfeinhalb Stunden und macht nebenbei ihren Master in Business Administration. Nach einer Stunde Gespräch hat sie letzte Zweifel ausgeräumt.

Mag sein, dass so mancher Finanzminister sich dieser Tage, nach anstrengender Sitzung, im Foyer des Dubai Convention Center noch ein bisschen mit Nada al-Schamma unterhält. Der Glückliche. Er wird Dubai mit dem Gefühl verlassen, dass die Welt nur gewinnen kann. Dass das Paradies machbar ist. Und Luxus letztlich nur ein Gefühl. Das Gefühl, am richtigen Ort zu sein.