Rauch geht, Raucherlunge bleibt

Eine Studie des Landesumweltministeriums belegt, dass Industrieanlagen ihre Anwohner krank machen. Umweltorganisationen fordern flächendeckende Tests und striktere Richtlinien

VON KLAUS JANSEN

Blei und Cadmium im Urin von Kindern aus dem Duisburger Süden, Benzol im Duisburger Norden, Atemwegsbeschwerden und Allergien bei Müttern in Dortmund-Hörde: Auch nach dem Abbau von Kokereien leiden die Anwohner der ehemaligen Großindustriestandorte im Ruhrgebiet unter den Folgen des Schadstoffausstoßes. Eine Studie des NRW-Umweltministeriums und der Ruhr-Universität Bochum belegt erstmal wissenschaftlich, dass Leben in der Nachbarschaft von industriellen „Hot Spots“ krank macht.

„Vor allem bei der Belastung durch Feinstäube müssen wir wachsam bleiben“, sagte Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne) der taz. Höhn prophezeit, dass mit dem Inkrafttreten der neuen Luftqualitätsrichtlinie der EU zum Beginn des kommenden Jahres landesweit an mehr als zehn Stellen die zulässigen Grenzwerte für Feinstaub überschritten werden. „In der Vergangenheit ist diese Gefahr häufig unterschätzt worden“, sagte sie. In den Fällen, in denen die Industrie für die Umweltbelastungen verantwortlich sei, müsse diese auch für den Emissionsschutz aufkommen. Schon jetzt prozessiert das Ministerium gegen das Duisburger Metallverarbeitungsunternehmen MHD, das Minderungspflichten nicht nachkommen will.

Für die „Hot Spot“-Studie haben Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum in Zusammenarbeit mit lokalen Bürgerinitiativen rund 750 Kinder im Einschulungsalter und deren Mütter medizinisch untersucht. „Jeder Bewohner, jede Adresse hat seinen eigenen Messwert bekommen. So kleinräumig sind Emissionsbelastungen noch nie berechnet worden“, sagt Professor Michael Wilhelm, Leiter der Abteilung für Hygiene, Sozial- und Umweltmedizin an der Ruhr-Uni. Das Ergebnis: Es macht einen großen Unterschied, ob Menschen einen oder mehrere Kilometer von einer Industrieanlage entfernt wohnen.

Die Bürgerinitiativen begrüßen das Ergebnis der Studie: „Jetzt wird öffentlich, was wir jahrelang mitgemacht haben. Früher wollte das niemand wahr haben“, sagt Alfred Bock von der Bürgerinitiative Hörde und Anwohner der mittlerweile geschlossenen Kokerei Phoenix. Für die ThyssenKrupp AG, früher Betreiber der Kokereien in Dortmund und Duisburg, sind die Ergebnisse der Untersuchung jedoch Staub von gestern: „Bei dem früheren Stand der Technik gab es eben Belastungen. Mittlerweile haben wir die modernste Kokerei der Welt, da gibt es so etwas nicht mehr“, sagt Unternehmenssprecher Erwin Schneider.

Für Umweltschutzorganisationen hingegen ist die Studie brandaktuell: „Das wird noch für Furore sorgen“, sagt Dirk Jansen, Geschäftsführer des nordrhein-westfälischen Bund für Umwelt und Naturschutz. Jansen hofft nun, das nachgesetzt wird: „Wir brauchen flächendeckende Untersuchungen, vor allem über die Feinstaubbelastung in Braunkohlerevieren.“ Um das Krebsrisiko in Industrieregionen besser abschätzen zu können, fordert er zudem ein landesweites Krebsregister. „Darüber wird schon lange geredet, aber es wird nicht angegangen“, sagt er.

Jansens Hoffnungen beruhen vor allem auf der neuen Luftqualitätsrichtlinie der EU. „Die wird bahnbrechend“, sagt er. Die für das Jahr 2010 angekündigte zweite Stufe der Richtlinie, in der die Grenzwerte ein weiteres Mal gesenkt werden sollen, steht allerdings schon in der Kritik – unter anderem durch die Industrie. „Da gibt es schon heftigen Gegenwind“, sagt Bärbel Höhn.