Alles parfümierter Qualm

Der Dirigent Christian von Borries kombiniert im Palast der Republik schwülstige Opern Richard Wagners mit Techno oder Elektrosounds – und inszeniert damit einen Soundtrack zur Nachwendezeit

Nach geglückter Asbestsanierung ist der Palast endlich in Berlins Mitte angekommen

von SANDRA LÖHR

Natürlich waren sie alle da. Die Leute mit den coolen Sonnenbrillen und den 80er-Jahre-Frisuren und die Leute mit den Kameras, Mikrofonen und Fotoapparaten. Schließlich ging es um nichts weniger als um „music and german national identity“, so der Untertitel der von den Sophiensælen durchgeführten Veranstaltung im Palast der Republik. Das Gebäude leuchtete dann auch pflichtschuldig schäbig und DDR-Retro-mäßig in der goldenen Spätsommersonne, ein paar Männer von der Oberfinanzdirektion mit schwarzen Bügelfaltenhosen aßen noch schnell ihre mitgebrachten Stullen, bevor es losgehen konnte, und sorgten so für die arbeitermäßige Erdung des Events.

Nach geglückter Asbestsanierung ist der Palast endlich in Berlins Mitte angekommen. Um zu verhindern, dass das Gebäude bis zum Abriss und der geplanten Neubebauung des Schlossplatzes als leere Ruine im Zentrum Berlins zurückbleibt, gründete sich die Initiative „Zwischen-Palast-Nutzung“. Sie hat beantragt, den Palast bis 2006 zur Spielstätte für innovative künstlerische Projekte zu machen – interessierte Kulturschaffender gebe es reichlich. Und so war man gespannt, als sich am Montag gegen 18 Uhr zum ersten Mal die Türen zu Christian von Borries’ „musikalischer Führung“ öffneten. Wer nicht das Glück hatte, im Juli eine Karte für eine der wenigen Führungen durch das Haus zu ergattern, der durfte jetzt endlich einmal den vollständig entkernten Palast von innen sehen, der auf den ersten Blick eher etwas von einer überdimensionalen, nüchternen Lagerhalle hat als von einem geschichtsträchtigen Ort.

Nur vierzehn Jahre hatte „Erichs Lampenladen“ Zeit, um sich im Bewusstsein der Deutschen Demokratischen Republik zu verankern. Erst 1976 eröffnet, wurde er 1990 geschlossen und geistert heute, vierzehn Jahre nach dem Mauerfall, noch immer im Bewusstsein der wiedervereinigten Deutschen herum als materialisiertes Symbol, wie man denn nun mit dem Erbe des einstigen sozialistischen Staates umzugehen habe.

Mit Christian von Borries’ Aufführung begann nun eine künstlerische Auseinandersetzung mit ebendiesem Symbol jüngster deutscher Geschichte. Der Musiker und Komponist, Enfant terrible und so etwas wie der Schlingensief der Klassikszene, konfrontiert den entkernten Palast mit der schwülstig-romantischen Opernmusik Richard Wagners, die für ihn „repräsentativ für die Deutschen und das Deutsche“ ist und verfremdet das Ganze mit Klassikklängen von Beethoven und Mahler sowie mit zeitgenössischen Sounds von Peter Ablinger und James Tenney. Unterlegt wird der Klangteppich mit Techno und 90er-Jahre-Elektrosounds, die sich mal wie das Kratzen einer Schallplatte und mal wie ein entfernt vorbeifliegendes Düsenflugzeug anhören. Dazwischen klingt immer wieder zaghaft das Motiv der DDR-Nationalhymne an.

Trotz all der bedeutungsschwangeren Musik und aufgeladenen Atmosphäre des Ortes hatte die Veranstaltung ein bisschen was von einem lässigen Popkonzert. Man konnte zu den Klängen im Haus herumwandern, eine Designer-Jeansjacke für 40 Euro kaufen oder ein „Palastgetränk“ für 3 Euro trinken. Das bestand aus Holunderblütensirup, Weißwein und Mineralwasser. Am längsten auf der Zunge blieb der Geschmack des Sirups, was zu der gespielten Musik passte, die zu sehr den Eindruck akustischer Klebrigkeit hinterließ.

Und irgendwann, als die Sonne hinter den blinden Fensterscheiben verschwunden war und sich viele Zuschauer erschöpft auf die Betontreppenstufen gesetzt hatten, war’s plötzlich aus. Zurück blieb ein leicht süßliches Gefühl in den Gehörgängen. Man hätte musikalisch gerne noch ein bisschen mehr von den Brüchen, Kratzern und Loops der deutschen Gegenwart erfahren. So war es fast ein bisschen zu viel von jenem Geist deutsch-wagnerianischer Musik, vor der schon Thomas Mann vor über 100 Jahren hellsichtig in seinen „Buddenbrooks“ gewarnt hatte: „Dies ist das Chaos! Dies ist Demagogie, Blasphemie und Wahnwitz! Dies ist ein parfümierter Qualm, in dem es blitzt!“

Weitere Aufführungen von „Psychogeographie 2: Wagnerkomplex – music and german national identity“ am 29. und 30. September, Anmeldung unter Tel. 27 89 00 30