Die Umkehrung von New Age

„Alles darf rein“: „Mouse On Mars“ erfinden das Krypto-Hippietum. Das tragende Subjekt verschwindet, wird aber nicht durch die Harmonie eines Ganzen ersetzt

Jan St. Werner und Andi Thoma sind selbst so etwas: Radikale Verbindungshersteller. Radical Connector ist der Titel ihres neuen Albums, und die Idee ist der Platte anzumerken. Nicht so sehr als Konzept, das wäre zu stark formuliert, wo doch Mouse On Mars schon immer ihre Ohren offen hatten. Auf Iahora Tahiti zum Beispiel gab es diese smarten Elektroplinks, deren Rattern überraschenderweise mit einer Rock-Straightness durch die sonische Landschaft zog.

Das war Mitte der 90er Jahre, und das war wirklich neu, diese Forschungsarbeit, die so sehr auch auf der Bühne unterhalten konnte. Wenn St. Werner und Thoma, die längst auch als Professoren für Komposition arbeiten, nun für die neue Platte eine Parole ausgeben wie „Alles darf rein!“, dann beschreiben sie damit eine nochmals gesteigerte Informationsdichte.

Sie schlägt sich zum Beispiel nieder in einem Track mit dem Titel „Democracy Is A Spaceship“. Die Kölner Sängerin Niobe, die bald auch ihr zweites Solo-Album auf dem von St. Werner und Thoma betriebenen Label Sonig veröffentlichen wird, schraubt ihre ebenso euphorische wie angstbelade Stimme empor. „Democracy Is A Spaceship“ schmeißt sie irgendwohin nach oben, um langsam in schweren Breakbeats zu verpuffen.

Auch der Text: radikal offen. „Demokratie als Herrschaftsform ist so dubios, so vieldeutig auslegbar“, sagt dazu Jan St. Werner. „Das kommt einem wie Science Fiction vor. Diese Zeile soll funktionieren wie ein Luftballon, da wird etwas angeklagt, aber auch gleichzeitig als Forderung weggeschickt.“

So läuft alles bei den Kölnern. Redet man mit ihnen, steigt man am besten mit ein in den Korb; hat man es mit einem Tonträger oder Konzert des Duos zu tun, dann passiert das eh unweigerlich. Mouse On Mars sind im schönsten Sinne exzentrisch, sie verschieben die Fixpunkte. Auch was in ihren Produktionen immer wieder als „Pop“ bezeichnet wird, das Wiederkehrende und leicht Wiedererkennbare, diese ultraleichten Minimelodien, findet sich doch im Laufe eines Stücks in immer leicht veränderten Umgebungen wieder. Realtime Pop oder, wie Mouse On Mars selbst sagen: „Da ist so viel drin, das ist wie New Age, nur umgekehrt.“

Stimmt, Mouse On Mars 2004 erfinden das Krypto-Hippietum. Der Gesang, und es wird viel gesungen auf Radical Connector, verschleiert mehr, als irgend etwas offen zu legen. Stimme dient hier als bloßes Material für die tatenfreudigen Zerleger und Re-Arrangierer; sie bringt kein Subjekt zum Ausdruck, das durch die akustischen Gegenden führt. Während aber im New Age dann einer utopischen Ganzheit gehuldigt wird, bleibt dieses kitschige Herstellen von Symmetrien und Harmonien bei Mouse On Mars einfach draußen. New Age umkehren bedeutet deshalb: Da ist ja noch viel mehr drin.

Extrem welthaltig klingen sie, und so leicht manche der neuen Tracks in ihrem Flow dahinschweben, sie enthalten immer auch die andere Seite. Stehen auf der Kippe zu Angst, Dunkelheit, Verdammung. Mouse On Mars schaffen es wirklich, ihre eigenen Regelkreise nicht zu steuern.

Christoph Braun

Heute, 21 Uhr, Tanzhalle St. Pauli