Slobodan Milošević verteidigt sich

Der Prozess gegen den früheren serbischen Staatschef vor dem UN-Tribunal in Den Haag wird mit einer mehrstündigen Verteidigungsrede des Angeklagten fortgesetzt. Der macht Deutschland für die Kriege im früheren Jugoslawien verantwortlich

VON ERICH RATHFELDER

Nach langer Unterbrechung wurde gestern der Prozess gegen den ehemaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milošević vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag fortgesetzt. Bei dem am 12. Februar 2002 begonnenen Prozess ist Milošević des Völkermords, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Kriegsverbrechen im Kosovo, Bosnien und Herzegowina und Kroatien angeklagt. Die Anklage wurde im Februar dieses Jahres abgeschlossen.

Obwohl er das Gericht nicht anerkennt und als „illegal“ bezeichnet, wird Milosevic in 150 Prozesstagen versuchen, seine Unschuld zu beweisen. Er will 1.631 Zeugen aufrufen, darunter Großbritanniens Regierungschef Tony Blair, Ex-US-Präsident Bill Clinton und Frankreichs Staatschef Jacques Chirac.

Zu Beginn seiner mehrstündigen Verteidigungsrede machte Milošević in erster Linie Deutschland für die Konflikte der Neunzigerjahre im früheren Jugoslawien verantwortlich. Dem damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher warf er vor, die Zerstörung Jugoslawiens durch die am 15. Januar 1992 erfolgte diplomatische Anerkennung Kroatiens und Sloweniens betrieben zu haben.

Er wies den von der Anklage erhobenen Vorwurf zurück, dass er selbst durch eine Politik groß-serbischer Vormacht für Verbrechen im Kosovo, in Kroatien und in Bosnien-Herzegowina verantwortlich gewesen sei. Und er erwähnte nicht, dass der Krieg in Slowenien und Kroatien mit dem Angriff serbisch-jugoslawischer Streitkräfte schon im Juni 1991, also ein halbes Jahr vor der diplomatischen Anerkennung der beiden Staaten, begonnen hatte.

Milošević, gegen den in Serbien ein Verfahren wegen des Mordes an seinem Vorgänger im Amt des serbischen Präsidenten, Ivo Stambolić, und des Mordanschlags auf den jetzigen Außenminister Vuk Drašković läuft, wird sich wie bisher selbst verteidigen. Er unterhält allerdings einen juristischen Beraterstab, der ihn mit Informationen und Dokumenten unterstützt. Nach Ansicht von Beobachtern wird er in den nächsten Monaten versuchen, Verbrechen der Kriegsgegner gegen Serbien herauszustellen und dabei vor allem den Angriffskrieg der Nato gegen das damalige Restjugoslawien.

Entgegen den Erwartungen war seine bisherige Verteidigungsstrategie, seine früheren Propagandathesen vor Gericht zu wiederholen, in Bezug auf die serbische Gesellschaft wenig erfolgreich. Bei den Wahlen 2003 kam seine Sozialistische Partei mit ihm als Spitzenkandidaten nur auf 7,6 Prozent der Stimmen. Auch die Hoffnungen, das Gericht könne die Anklage des Völkermordes, von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nicht im Einzelnen beweisen, dürfte sich nur schwerlich erfüllen.

Auch wenn Kritiker des Gerichts behaupten, es fehle an Zeugen, um ihm diese Taten in Bosnien und Kroatien im Einzelnen nachzuweisen, könnte es dem Gericht nach internationalem Recht ausreichen, die politische Verantwortung Milošević’ – „command responsibility“ und „joint criminal enterprise“ – für die Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien festzustellen. So jedenfalls argumentiert die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Bis zum Urteilsspruch wird jedoch noch viel Zeit vergehen. Das Urteil wird, wenn überhaupt, erst Ende 2005 gefällt werden können.