der kuss der mückenfrau von HARTMUT EL KURDI
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Es ist schön, wenn man seinen Platz im Leben gefunden hat und nicht mehr orientierungslos im Schicksalsirrgarten herumtorkeln muss. Ich zum Beispiel diene den Menschen aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis als Insekten-Blitzableiter. Das ist meine Bestimmung. Wann immer ein privates Outdoor-Event oder gar eine Urlaubsreise in den Süden ansteht, werde ich kurz fernmündlich informiert und sofort stehe ich Gewehr bei Fuß bzw. trage bereitwillig meine Haut zu Markte. Man muss mich dann nur irgendwo am Rande des Geschehens platzieren, schon stürzen sich sämtliche Stechtiere exklusiv auf mich, rammen mir ihr pymäenpfeilscharfen Saugrüssel ins Fleisch und zutzeln mich langsam und genüsslich schmatzend leer, bis ich nur noch verbeulte Hülle bin. Alle anderen anwesenden Menschen können sich nackt ausziehen und mit Honig, Grafschafter Zuckerrübensirup oder Käpt’n Nuss einreiben – den Mücken isses humpe.

Ob es die Süffigkeit meines Blutes oder meine devot-jesueske Leidensfähigkeit ist, welche die Insekten dazu bringt, sich völlig auf mich zu konzentrieren, vermag ich nicht zu sagen. Fest steht, dass selbst Haut-an-Haut neben mir schlafende Personen vollkommen stichfrei und erfrischt aufwachen, während ich die ganze Nacht Blut gespendet habe und so abstoßend verpockt aussehe, dass selbst Albert Schweitzer mich am Haupteingang seiner Leprakolonie angeekelt kreuzschlagend abgewiesen hätte.

Vor Jahren stach mich im Dänischen ein vermutlich durch Giftstoffe verseuchtes und mutiertes Insekt, so dass mein linker Ellenbogen auf die Größe eines Säuglingskopfes anschwoll. Die Krankenschwester im Hospital von Odense, eine einmeterfünfundachtzig große, vollbusige und kiefernregalblonde Dänendomina, zuckte beim Anblick meiner heißpochenden juckenden Armbeule nervös mit der Augenbraue, gab mir aber nur den lust- und mitleidslosen Rat, den Arm mit Kernseife einzureiben. Mir war klar, eigentlich schickte sie mich zum Sterben nach Hause. In der Apotheke konnte ich dann doch noch eine medizinische Salbe erwerben, die aber Wirksamkeit und Geruch nach zu urteilen zu hundert Prozent aus verflüssigter Kernseife bestand. Aber irgendwie überlebte ich auch diese Attacke, und nach zwei Wochen fuhr ich mit 23 weiteren Stichen, aber heiteren, von jeglichem nosferatischem Insektentum verschont gebliebenen Mitreisenden nach Hause.

Ich tue eben, was getan werden muss. Und ich tue es klaglos, weil ich weiß, dass es gut ist. Wenn nur die sinnlosen mysteriösen nächtlichen Fliegenangriffe nicht wären. Fliegen stechen nicht, saugen kein Blut – was also wollen diese Viecher von mir? Sie umschwirren immer wieder laut brummend meinen Kopf und versuchen sogar in meine Nase und in meine Ohren zu kriechen. Halten die mich etwa für tot und versuchen sie, ihre Eier in mir abzulegen? Im Vergleich zu dieser Vorstellung erscheint mir jeder Mückenstich wie ein romantisch-lippenstiftverschmierter Musenkuss. Also, kommt her ihr kleinen Luder, ich wär dann wieder so weit …